München – Mit keinem anderen Wort wird der Ironman auf Hawaii wohl so oft bezeichnet: Mythos. Laut Bedeutung eine überlieferte Götter- oder Heldengeschichte. Passt – zumindest, wenn man denkt, dass 3,86 Kilometer Schwimmen, 180,2 Kilometer Radfahren und 42,195 Kilometer Laufen etwas Heldenhaftes haben. Zwei Jahre fiel das Rennen Corona-bedingt aus, nun ist es zurück.
Einer der Heroen, die es in der Historie des Wettkampfs seit 1978 gibt, ist Dave Scott. Seine Geschichte von sechs Siegen zwischen 1980 und 1987 ist gut überliefert. Zusammen mit seinem US-amerikanischen Landsmann Mark Allen, der ihn als Seriensieger ablöste, ist er Rekordchampion. Was das Besondere an Hawaii für ihn ausmacht? Da fällt ihm viel ein. „Die Geschichte, das Prestige, die anstrengenden Bedingungen und die physische und mentale Herausforderung“, meint er zu unserer Zeitung.
Trotz der endlos scheinenden Strecke und der erbarmungslosen Hitze, die stellenweise bis nah an die 40 Grad steigen kann, im Kopf stark zu bleiben – wie schafft man das? Man darf sich in Gedanken zu keinem Zeitpunkt geschlagen, sagt der 68-Jährige: „Denn danach ist es schwer, das Rennen nochmal positiv zu gestalten.“
Hier kommt den Profis ihr Selbstvertrauen zugute. Sagt Professor Doktor Oliver Stoll, ein Sportwissenschaftler, der auf Sportpsychologie spezialisiert ist. Er lehrt an der Universität Halle-Wittenberg und ist 1988 einmal selbst in Kona an den Start gegangen. „Man weiß, was man alles schon geschafft hat, und passt sich psychisch an. Dann sieht das alles auch nicht so dramatisch aus“, erläutert er und führt aus: „Es ist ein Anpassungsprozess im Training. Nicht nur körperlich, sondern eben auch mental.“
Wichtig wird mentale Stärke vor allem dann, wenn es auf der Strecke problematisch laufe, sagt Stoll: „Aber darauf kann man sich vorbereiten.“ Der 59-Jährige nennt Möglichkeiten, „die wir alle haben“: „Entspannen, mit Kopfkino zu arbeiten und den inneren Dialog lenken.“
Früher oder später braucht wohl jeder der über 100 Profis und 5 000 Amateursportler diese Fähigkeiten. Dazu ist die Herausforderung zu groß. „Der Ironman auf Hawaii ist mindestens 30 Prozent schwerer als ein kühles Rennen“, sagt Professor Doktor Kuno Hottenrott, Trainingswissenschaftler, auch in Halle. Von 1988 bis 1993 war er Junioren-Nationaltrainer im Triathlon. „Es ist mit die kompletteste Ausdauerleistung, die es gibt. Nicht nur weil es drei Disziplinen sind, sondern weil man in allen fit sein und ein hohes Niveau erreichen muss“, urteilt er.
Ein anderer Aspekt, der den Ironman einzigartig macht, ist die Landschaft, der Kontrast zwischen Pazifik und Lavafeldern im Landesinneren. „Manche bekommen dadurch einen Schub, andere lassen sich durch den Wind ausbremsen“, meint Scott dazu. Zu einer Prognose zu den Rennen möchte er sich nicht hinreißen lassen, ergänzt aber: „Keine Athleten, auch nicht Daniela Ryf und Kristian Blummenfelt haben ihre Namen eingraviert, bevor es losgeht. Dazu gibt es zu viele Variablen und zu viele Sportler, die eine Chance haben.“
Die Schweizerin Ryf (35) wird als Favoritin der Frauen am Donnerstag (ab 18.15, ZDF-Mediathek, ab 0.45 im TV) gehandelt, der Norweger Blummenfelt (28) bei den Männern am Samstag (18.15, ZDF-Mediathek, ab 0.25 im TV). Erstmals finden die Rennen nicht gleichzeitig statt.
Ryf hat auf Hawaii schon viermal triumphiert und auch die im Frühling in Utah nachgeholte WM gewonnen. Mit ihr mithalten könnte die deutsche Anne Haug, Championesse der letzten Ausgabe 2019. Die 39-Jährige gab sich selbstbewusst: „Es gibt keine Ausreden“, und fügte an: „Wenn man als Titelverteidigerin hierher kommt, sagt man nicht, ich würde gerne Top Ten machen. Natürlich will ich um das Podium mitkämpfen und bin auch in einer Form, in der ich das kann.“ Sie ist nicht die einzige Deutsche mit Ambitionen, auch Laura Philipp (35) ist bereit. „Ich bin da, falls eine der Topfavoritinnen einen schlechten Tag erwischt“, gab die Heidelbergerin vor.
Eine Einstellung, die einige deutsche Männer teilen dürften. Neben dem Hawaii-Debütanten Florian Angert (30/Weinheim) zum Beispiel Patrick Lange (36), Sieger von 2017 und 2018. Auch wenn der Hesse Dominator Blummenfelt als Favoriten sieht, sagte er der „F.A.Z.“: „Ich hätte richtig Bock, mit ihm zusammen auf die Laufstrecke zu gehen und das Ganze hinten raus zwischen ihm und mir zu entscheiden.“ Nicht dabei sein wird dann Jan Frodenoi-(41/Köln). Der Dreifachsieger laboriert an einer Hüftentzündung. Im Interview mit der „Welt“ hatte er jüngst bekräftigt, dass ihn die Absage „in der Seele wehtue“. Verständlich. Es geht um Hawaii. Den Mythos. Seinen Platz in dessen Geschichte hat er trotzdem sicher.