München – Wer sich Julian Nagelsmann gestern bei einem gemütlichen Fußballabend auf der Couch vorgestellt hat, liegt ziemlich daneben. Generell ist der Trainer des FC Bayern jemand, der mitgeht, wenn der Ball rollt, zudem aber nähert er sich der Sache halt auch gerne analytisch. Das Gastspiel von Borussia Dortmund in Sevilla hat sich der 35-Jährige also auf dem Laptop angeschaut, ausgestattet mit einem Block, um die wichtigsten Szenen zu notieren. Heute Morgen um 7 Uhr ist er dann in seinem Büro an der Säbener Straße in die Detailanalyse des BVB-Spiels gegangen. Die entscheidende Frage: Kann all das, was beim FC Bayern gegen Leverkusen und Pilsen so wunderbar funktioniert hat, auch am Samstag im Topspiel klappen?
„Wir sind auf der Siegesstraße“, sagte Torschütze Sadio Mané: „Und ich hoffe, dass wir dort bis zum Saisonende bleiben.“ Die jüngsten Auftritte – vor allem das 5:0 am Dienstag gegen den tschechischen Meister – sprechen freilich dafür. „Wir fühlen uns gewappnet, wir sind richtig heiß und werden Vollgas geben“, versprach etwa Leon Goretzka. Das Selbstvertrauen ist nach neun Toren in zwei Spielen zurück, der Spaß am Spiel sowieso. Auch Oliver Kahn hatte in diesem so komisch gelegenen 18.45-Uhr-Champions-League-Spiel einen „souveränen Auftritt“ des Rekordmeisters gesehen. Und trotzdem haben die vergangenen Wochen Spuren hinterlassen. An die Gruppenphase kann man nach drei Siegen schon fast einen Haken machen, man weiß wieder, was man kann. Aber man weiß auch, dass eine Pleite bei den punktgleichen Dortmundern die jüngsten Erfolge relativieren würde.
Kahn meldete sich daher gestern bewusst auf Twitter zu Wort – und stellte klar: „Trotz der Höhen sollten wir diesen Sieg nicht überbewerten.“ Dass die „Formkurve weiter nach oben“ geht, solle nicht davon ablenken, dass „wir gegen Dortmund ebenfalls eine Top-Leistung abliefern müssen“. Ähnlich sah es Goretzka, der zwei der fünf Treffer vorbereitet hatte. „Um ehrlich zu sein“, erzählte der Nationalspieler, „waren das jetzt auch zwei Gegner, die uns haben machen lassen, was wir wollten.“ Es werden „auch wieder andere kommen“, ergänzte er. So wie Dortmund, „wo es auf mehr Details ankommt“.
An diesen Details tüftelt Nagelsmann, um sie in zwei Trainingseinheiten zu vermitteln. Dass die Offensive sich warm geschossen – oder wie Hasan Salihamidzic sagt: „ein bisschen mehr Zielwasser getrunken“ – hat, kommt da ganz gelegen. Sowohl gegen Bayer als auch gegen Pilsen haben frühe Tore die Brust breiter werden lassen, Manuel Neuer sagte mit Blick auf die Dosenöffner: „Dann sind wir kaum aufzuhalten.“ Für den Kapitän aber steht im „Prestigeduell“ die Defensive im Fokus. „Gegen Dortmund“, sagte er, „müssen wir unseren Mann stehen.“ Und zwar alle elf, die randürfen.
Wer das sein wird, muss Nagelsmann heute und morgen herausfinden. Eine knifflige Aufgabe, denn „jeder will spielen, jeder will sich beweisen“, weiß der Trainer. Gegen die Sparringspartner sei niemand abgefallen, vor allem die Offensive um die Torschützen Leroy Sané (7./50.), Serge Gnabry (13.), Sadio Mané (21.) sowie Eric Maxim Choupo-Moting (59.) verdiente Extra-Lob. Nagelsmann hat bewusst Duelle um die einzelnen Positionen ausgerufen, lässt die Eindrücke der beiden Spiele sowie der letzten Trainings einfließen. Er sagte aber auch: „Es ist Jammern auf hohem Niveau.“
Die finale Entscheidung wird am Laptop fallen. Mit Zettel, Stift – und viel Vor- und Zurückspulen. „Ich hoffe, es wird die richtige sein.“