„Ich bin ein Diener des FC Bayern“

von Redaktion

Präsident Hainer über seine Kandidatur, das Topspiel, Katar – und Gedanken auf dem Traktor

München – Während es für die Spieler des FC Bayern auf dem Rasen Schlag auf Schlag geht, bereitet sich die Führungsetage parallel auf die Jahreshauptversammlung vor. Am 15. Oktober stellt sich Präsident Herbert Hainer in der Olympiahalle zur Wiederwahl. Bei lockerer Atmosphäre im gemütlichen Wirtshaus spricht der 68-Jährige vorab im Interview.

Herr Hainer, wird in Dortmund ein Mittagessen mit den Bossen stattfinden, das war ja hin und wieder ein Politikum…?

Wir treffen uns – aber nicht mittags, sondern zu einem frühen Abendessen. Darauf freue ich mich, weil es immer interessant ist, die Stimmung beim BVB auszuloten.

Kribbelt es noch mehr, wenn man punktgleich nach Dortmund fährt?

Das Spiel ist immer ein besonderes, aber die aktuelle Konstellation macht es natürlich noch ein bisschen interessanter. Wir wollen beide nicht Dritter oder Vierter sein, sondern nach vorne.

Eine Niederlage – und die Krise wieder da?

Wir hatten auch vor dem Spiel gegen Leverkusen keine Krise. Zudem hat die Mannschaft eindrucksvoll reagiert. Abgerechnet wird am Ende. Helmut Kohl sagte ja schon: Entscheidend ist, was hinten rauskommt.

Waren die vergangenen Wochen die schwerste Zeit in der Karriere von Julian Nagelsmann?

Das mag für ihn vielleicht die schwerste Zeit beim FC Bayern gewesen sein – aber wenn ich aus meiner Lebenserfahrung spreche: Julian ist jung und hat eine große Karriere vor sich. Da muss man seinen Weg gehen. Er ist ein unglaublich innovativer und kreativer Trainer, wir haben absolutes Vertrauen in ihn.

Er hat in der Länderspielpause den Rat von Außenstehenden gesucht. Konnten auch Sie ihm helfen?

Natürlich sprechen wir immer wieder. Aber ich will da nicht als der neunmalkluge Besserwisser wirken. Wenn Julian das Gespräch sucht, möchte ich ihm ein bisschen Hilfestellung geben. Wir sind hier im Club jedenfalls der felsenfesten Überzeugung, dass er der richtige Mann für uns auf dem richtigen Weg ist. Großartige Ratschläge brauche ich ihm nicht zu erteilen – er weiß selber, worauf es ankommt.

Seine Auftritte an der Seitenlinie und auch in Pressekonferenzen kamen zur Sprache. In Ihrem Gespräch auch?

Ach, wissen Sie: Bis zu den drei Unentschieden wurde Julian von allen gefeiert. Weil er zum Beispiel mit dem Skateboard über das Trainingsgelände fährt oder weil er einen karierten Anzug trägt. Wenn er dann ein Mal verliert, wird das alles in der Öffentlichkeit infrage gestellt. Aber intern beurteilen wir die Dinge schon differenzierter. Wir reden permanent mit ihm über den FC Bayern. Der FC Bayern ist sicher eine andere Hausnummer als Hoffenheim und Leipzig, weil hier die Öffentlichkeit, die Medien und die Erwartungshaltung ganz einfach noch einmal eine andere Tragweite haben. Julian hört gut zu, nimmt das alles auf und zieht seine Schlüsse. Das ist ein natürlicher Prozess.

Wie waren Sie mit 35?

Bei Weitem nicht so weit wie Julian Nagelsmann. Ich war zwar schon relativ erfolgreich in meinem Berufsleben – aber mir hat die Öffentlichkeit nicht permanent über die Schulter geschaut. Damit muss man klarkommen, und Julian kommt damit klar.

Sind Sie Skateboard gefahren?

Nein. Aber schon mit 25 habe ich eine Kneipe betrieben, neben dem Studium. Insofern war ich auch innovativ (lacht).

40 Jahre später sind Sie in die Fußstapfen von Uli Hoeneß getreten. Wo waren die in den letzten drei Jahren besonders groß?

Mit der Corona-Pandemie umzugehen, war sicher die größte Herausforderung, denn hier gab es keine Blaupause. Ich finde, wir haben das gemeinsam sehr gut gemeistert: Sportlich haben wir mit unseren Fußball-Männern elf Titel gewonnen, dazu weitere drei mit den Frauen und im Basketball. Wirtschaftlich konnten wir trotz der Pandemie jede Saison mit einem Gewinn abschließen. Und – darauf bin ich besonders stolz – wir sind auch unserer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht geworden: Wir haben beispielsweise den Corona-Geschädigten geholfen, den Flutopfern, unsere Ukraine-Hilfe ins Leben gerufen, mit SOS Kinderdörfer die „Arena of Change“ zur Förderung von Kindern gestartet und die Initiative „Rot gegen Rassismus“ entwickelt.

Wie sollen die nächsten drei Jahre werden?

Es wird eine große Herausforderung, weil wir sportlich immer erfolgreich sein wollen, aber international mit Clubs konkurrieren, die von Oligarchen und ganzen Staaten finanziert werden. Unser Anspruch ist und bleibt: Wo immer der FC Bayern antritt – das gilt genauso bei den Frauen oder bei den Basketballern –, will er in Deutschland und in Europa spitze sein. Weil wir nicht so viel Geld haben wie manch andere internationale Top-Clubs, müssen wir kreativer und innovativer sein. Daran arbeiten wir.

Im Sommer haben Sie noch überlegt, ob Sie noch mal kandidieren. Wer hat Sie überzeugt?

Am Ende des Tages habe ich es mit mir selbst ausgemacht. Als Uli Hoeneß mich vor drei Jahren angesprochen hat –vollkommen überraschend für mich –, habe ich gesagt: Ich mache das aus vollem Herzen gerne. Zum Amtsantritt habe ich versprochen, dass ich der Präsident von allen sein und mich um alle Abteilungen kümmern möchte. Das ist mein Selbstverständnis. Am Ende hat bei der Entscheidungsfindung die Leidenschaft gewonnen.

Gab es eine schlaflose Nacht?

Nein. Aber einen Aha-Moment.

Erzählen Sie!

Ich war bei meiner Tochter auf ihrem Hof, und wenn ich dort zu Besuch bin, arbeite ich immer gerne mit: Da fahre ich dann Traktor, mähe Rasen, fege die Stallgasse – das macht mir unheimlich Spaß, abends fällt man nach einem anstrengenden Tag dann immer wirklich geschafft ins Bett. Und an einem dieser Abende mit dieser entspannenden, schönen Müdigkeit dachte ich mir: Ach, es ist einfach großartig beim FC Bayern! Da wusste ich, was zu tun ist. Am nächsten Tag stand der Entschluss endgültig fest: Ich stelle mich wieder zur Wahl – in der Hoffnung, dass ich erneut das Vertrauen bekomme.

Nach der letzten Jahreshauptversammlung hatten Sie aber eine schlaflose Nacht. Wie werden Sie am 15. Oktober schlafen?

Ich hoffe sehr und bin zuversichtlich, dass diese Jahreshauptversammlung harmonischer abläuft. An diesem Abend war der FC Bayern in der Gesamtdarstellung nicht der FC Bayern, wie wir ihn sehen wollen. Wir alle haben da Fehler gemacht, und ich für meinen Teil will es dieses Mal besser machen. Schon als junger Mann bin ich im FC-Bayern-Fanblock gestanden, mein Herz schlägt rot. Es ist mir eine Herzenssache, zu zeigen, dass das nicht der wahre FC Bayern gewesen ist. Ich bin ein Riesen-Fan des FC Bayern – und der Präsident ist immer ein Diener dieses großartigen Vereins.

Wie lief die Aufarbeitung im Detail?

Wir haben uns direkt am nächsten Morgen hingesetzt und uns selbstkritisch gefragt: Was hätte man besser machen müssen? Seitdem haben wir in vielen Dialogformaten den Austausch mit unseren Fans intensiviert, auch und gerade mit den kritischen. Insofern sollte es auf dieser Jahreshauptversammlung konstruktiver zugehen – nicht nur beim Thema Katar, sondern beim FC Bayern in seiner Gesamtheit. Gerne kritisch, aber zielgerichtet.

Die Bundesregierung verhandelt über Flüssig-Gas aus Katar, deutsche Unternehmen machen Geschäfte in Katar bzw. mit Partnern aus Katar, der Qatar Investment Fonds wurde gerade der größte Aktionär von RWE. Mehr aber wird der FC Bayern wegen seines Vertrages mit Qatar Airways kritisiert.

Diese Beispiele zeigen, wie vielschichtig das Thema ist und wie wichtig Katar als Partner für die deutsche Wirtschaft und für die deutsche Gesellschaft beim Thema Energie geworden ist. Es ist keine Frage, dass Katar mit Blick auf das politische System oder auf die Arbeitsbedingungen noch nicht unseren Standards und Wertvorstellungen entspricht. Aber genauso richtig und wichtig ist es, sich die Frage zu stellen, auf welchem Weg Katar ist: Wird das Land offener? Und da sind die internationalen Beobachter der Überzeugung, dass sich Katar in die richtige Richtung reformiert. Das sagt die Internationale Arbeitsorganisation, auch Amnesty sagte auf unserem Round Table, dass es Verbesserungen gibt, seit der Fußball in Katar eine Rolle spielt. Wir sollten die unterstützen, die diesen Weg der Veränderungen weitergehen wollen. Wir sind davon überzeugt, dass man nicht über die Probleme hinwegsehen darf, aber auch nicht übersehen darf, was sich entwickelt hat.

Fahren Sie eigentlich zur WM?

Das hängt vom Abschneiden der deutschen Nationalmannschaft ab. Wenn das Team länger im Turnier bleibt, fliege ich voraussichtlich hin.

… um dort zu entscheiden, wie es mit dem Sponsoringvertrag mit Qatar Airways weitergeht?

Nein. Das ist keine Entscheidung des Präsidiums, sondern eine der AG, also von Oliver Kahn und seinen Vorstandskollegen. Der Vertrag läuft am 30. Juni 2023 aus, und der FC Bayern wird ihn erfüllen. Wie es dann weitergeht, steht nicht fest.

Was kann man Spielern in Bezug auf Katar raten?

Das muss jeder Spieler für sich entscheiden, jeder sollte sich erkundigen, wie die Situation vor Ort ist und den gesamten Kontext betrachten. Unsere Meinung ist klar, dass man nur durch Austausch und Dialog etwas erreichen kann. Was soll durch Ausgrenzung oder Boykott besser werden, oder wenn man sich abwendet? Es geht auch darum, alle Fakten zu kennen. Bei unseren Round Table sind alle Seiten zu Wort gekommen. Wir sehen ihn auch als einen Beitrag zum Dialog und zur Weiterentwicklung – und als gelebte Diskussionskultur innerhalb des FC Bayern, denn er war uns als Verein und unseren Mitgliedern wichtig.

Als neuer Finanzvorstand wird Michael Diederich künftig die Transfers mit absegnen. Wird in dieser Periode die 100-Millionen-Marke bei Bayern fallen?

Wir sind absolut schuldenfrei, die Allianz Arena, der FC Bayern Campus und das Gelände an der Säbener Straße gehören uns zu 100 Prozent. Aber wir haben nicht so viel Geld wie die Clubs, die von Investoren und ganzen Staaten finanziert werden, daher müssen wir klug wirtschaften. Das Wichtigste für uns ist immer: Der Spieler muss zu uns passen. Nicht nur finanziell, sondern auch in Sachen Persönlichkeit und Spielphilosophie.

Was war in dieser Transferperiode anders?

Oliver Kahn, Hasan Salihamidzic und ich haben uns bereits früh zusammengesetzt und uns gefragt: Was haben wir aus den vergangenen Jahren gelernt? Das Ergebnis dieser Unterredung: Wir müssen früh genug ran an die Leute, damit wir auch wirklich die Spieler bekommen, die wir brauchen! Wir haben dann genau definiert, welche Positionen wir konkret neu oder doppelt besetzen wollen. Dann war die Frage: Welche Spieler gibt es auf dem Markt? Was kosten die? Und kann man das alles unter einen Hut bringen? Das hat gut funktioniert. Wir haben bekanntlich fünf Spieler geholt und hatten auch noch Alternativen auf unserer Liste, für jede Position eine A-, B- und C-Lösung. Chapeau an Hasan und sein Team: Wir haben für jeden Transfer die A-Lösung bekommen.

Klingt sehr analytisch. Wandelt sich der FC Bayern vom familiären Verein zum kickenden Konzern?

Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Dass wir genannte Spieler verpflichtet haben, war die bereits beschriebene analytische Herangehensweise.

Aber?

Wir überlegen immer, wie wir uns sportlich am besten aufstellen können – und das gilt natürlich auch für den gesamten Club mit all seinen Abteilungen.

Inwiefern?

Es ist ja nicht so, dass wir nur unten auf dem Platz analysieren: Wie schnell läuft einer? Wie schnell atmet einer? Wie viel Gewicht hat er? Wir suchen auch hinter den Kulissen immer die besten Lösungen. Nachdem Jan-Christian Dreesen seinen Wunsch geäußert hatte, den Verein verlassen zu wollen, kommt in Michael Diederich eine entsprechende Alternative. Den FC Bayern hat stets ausgezeichnet, dass er sich permanent weiterentwickelt. In diesem Sinne und vor allem im Sinne unserer Fans wollen wir auch in Zukunft alles geben, denn entscheidend ist am Ende, dass wir jede Saison eine Mannschaft haben, die Titel holt und die Menschen begeistert.

Interview: Hanna Raif und Manuel Bonke

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