München – Erst der Klassiker gegen den BVB (ab 17.30 Uhr live und exklusiv bei Sky) entscheidet, ob die FCB-Krise wirklich überwunden ist. Diese Meinung vertritt jedenfalls Bayern-Legende Didi Hamann. Warum dem so ist und den Bayern womöglich „unruhige Wochen“ drohen, erklärt der Sky-Experte im Interview mit unserer Zeitung.
Herr Hamann, im August haben Sie den BVB als Meister prognostiziert. Halten Sie an Ihrer Wette fest?
Noch ja. Mir hat natürlich nicht so gefallen, wie die Dortmunder sich zum Teil verkauft haben. Wenn die Bayern vier Spiele in Folge nicht gewinnen, musst du zusehen, dass du dir ein kleines Polster anfrisst. Noch halte ich aber an meiner Prognose fest.
Zumindest die jüngsten Formschwankungen der Bayern dürften Sie in Ihrer Meinung bestärken.
Meine Prognose kam ja nicht von ungefähr. Die Bayern haben bereits in der Rückrunde der vergangenen Saison nicht gut gespielt, das Ausscheiden gegen Villarreal kam nicht überraschend. Die Krise ist sicherlich noch nicht überwunden.
So?
Sie hatten jetzt zwei Aufbaugegner, das haben sie auch souverän gestaltet. Die wirklichen Kaliber kommen aber erst in den kommenden Wochen auf sie zu. Gerade die Partie jetzt bei den Dortmundern ist der Härtetest. Sie wird zeigen, wo der FC Bayern wirklich steht.
Kann man bei acht Bayern-Siegen gegen den BVB zuletzt noch von einem Topspiel reden?
Topspiel ja, immerhin sind es die beiden besten Mannschaften der vergangenen Jahre. Für die Dortmunder muss diese Bilanz Ansporn sein, in der Bundesliga gibt es nämlich beileibe nicht so viele Mannschaften, gegen die die Bayern achtmal in Folge gewonnen haben. Der BVB muss da einfach einen anderen Anspruch haben, anderswo wäre es ja unvorstellbar, dass Barcelona oder Real Madrid achtmal in Folge gegen den Erzrivalen verliert. Deswegen hoffe ich im Interesse der Bundesliga, dass diese Serie ein Ende findet und der BVB endlich den Ernst der Lage erkannt hat.
Hat Julian Nagelsmann den Ernst der Lage erkannt?
Wenn man sich die Rückrunde der vergangenen Saison und die bisherige Hinrunde ansieht, dann scheint etwas verloren gegangen zu sein – zwischen ihm und dem Verein sowie zwischen ihm und der Mannschaft. Um was genau es sich dabei handelt, weiß ich nicht, Fakt ist aber: Wenn du über so einen langen Zeitraum durchschnittlichen Fußball spielst, dann stimmt etwas nicht. Ich glaube, dass er das alles vielleicht ein wenig unterschätzt hat.
Inwiefern?
Er ist ein guter und interessanter Trainer, beim FC Bayern sind aber andere Qualitäten gefragt. Bei Bayern gewinnen die Spieler die Spiele, nicht der Trainer. Das mag vielleicht in Hoffenheim oder in Leipzig der Fall gewesen sein, aber hier in München hast du die besten Spieler und musst sie machen lassen. Diese Freiheit musst du den Spielern gewähren und in diesem Spagat befindet er sich nach wie vor. Hinzu kommt, dass er sich zu so vielen Dingen geäußert hat und damit Angriffsfläche geboten. Da musst du vorsichtig sein. Die Demut, die er in den vergangenen Wochen gezeigt hat, hat mir die 16 Monate zuvor gefehlt und steht einem Trainer des FC Bayern immer gut zu Gesicht.
Glauben Sie, dass es zwischen ihm und der Mannschaft stimmt?
Nein. Ich glaube, dass es da Gräben gibt oder gab. Ob man diese während der Länderspiele überwunden hat, wird sich die nächsten Monate zeigen. Ich befürchte, dass die Bayern unruhige Wochen vor sich haben könnten.
Woran machen Sie das fest?
An dem Fußball, den sie spielen. Bereits in der Rückrunde stand keine Mannschaft auf dem Platz, die einem das Gefühl vermittelt hat, dass sie für ihren Trainer über heiße Kohlen geht. Das war nicht der Fall, siehe Spiele wie in Bochum oder Fürth. Und wenn du über so einen langen Zeitraum nicht am Limit bist, dann kann irgendetwas nicht stimmen. Für mich ist das weiterhin ein sehr fragiles Gebilde.
Hat Nagelsmann recht, dass seine Mannschaft ohne falsche Neun weniger ausrechenbar ist?
Ja. Die Frage ist nur, ob sie auch besser ist. Im Moment lautet die Antwort nein. Die Flaute von Mané hat auch damit zu tun, dass da vorne keiner drinsteht, mit dem er harmonieren kann wie zu Liverpool-Zeiten mit Firmino. Ich bezweifle, dass die Bayern ohne echte Neun besser sind, aber er wollte das so. Er hat ja gemeint, dass er nicht traurig ist, dass Lewandowski gegangen ist.
Das klang bei den Bossen seinerzeit anders.
Heutzutage muss man festhalten, dass der Lewandowski-Weggang den ganzen Verein näher hat zusammenrücken lassen. Die Bosse haben mit einer Stimme gesprochen, haben sich klar für den Verein positioniert und durch den von ihm angestoßenen Zirkus eine Summe an Geld bekommen, die sie sonst nicht bekommen hätten. Der Lewandowski-Weggang war ein Geschenk. Auf institutioneller Ebene, versteht sich.
Interview: Carlos Menzel Lopez