Deutschland zeigt Flagge

von Redaktion

Keine One-Love-Binde – der DFB und Europa kapitulieren vor der FIFA

VON JAN CHRISTIAN MÜLLER

Doha – Die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar hat bereits am zweiten Tag eine neue Eskalationsstufe erreicht. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) beugt sich unter lautem Protest zähneknirschend gemeinsam mit England, Wales, Dänemark, den Niederlanden, der Schweiz und Belgien dem Diktat der FIFA. Statt wie angekündigt „Flagge zu zeigen“, hisste der DFB die weiße Fahne.

Der Fußball-Weltverband hatte sich monatelang nicht gerührt, nachdem die europäischen Verbände schriftlich mitgeteilt hatten, dass ihre Kapitäne bei der WM in Katar mit einer vierfarbigen One-Love-Binde auflaufen wollen. Nur wenige Stunden vor den ersten Spielen der Engländer, Waliser und Niederländer drohte die FIFA bei einer Sitzung mit Generalsekretärin Fatma Samoura, dass Kapitäne sanktioniert werden – von einer Gelben Karte bis zu Punktabzug war die Rede –, die sich nicht dem Diktat des Weltverbandes unterwerfen und auf das Tragen der Binde verzichten. Der Eklat war damit perfekt. Die Verbände beugten sich am Montagmorgen nach einer unruhigen Nacht mit vielen Telefonaten dem Druck.

Am Nachmittag äußerte sich DFB-Präsident Bernd Neuendorf gemeinsam mit Manager Oliver Bierhoff am Trainingsplatz der deutschen Nationalmannschaft. Die Verärgerung nicht nur über die Entscheidung, sondern auch über die listige Taktik der FIFA war dem Verbandschef deutlich anzumerken: „Wir erleben einen beispiellosen Vorgang in der WM-Geschichte. Es handelt sich um eine Machtdemonstration der FIFA. Das war eine eindeutige Drohung, die wir sehr ernst nehmen mussten“, so der 61-Jährige. „Die von der FIFA herbeigeführte Konfrontation wollten wir nicht auf dem Rücken der Spieler austragen.“

Die betroffenen Kapitäne wären nach dem Willen der FIFA im Moment des Betretens des Platzes vom Schiedsrichter aufgefordert worden, die Binde zu entfernen. Hättem sie sich geweigert, wären weitere Schritte erfolgt, möglicherweise zunächst die Gelbe, dann die Rote Karte. „Wir wissen nicht, welche Sanktionen tatsächlich ausgesprochen worden wären“, sagte Neuendorf ernst.

Oliver Bierhoff ergänzte verärgert, die FIFA habe mit ihrem Vorgehen „ganz bewusst“ Unruhe in den Mannschaften so kurz vor deren Auftaktspielen in Kauf genommen. „Das Verhalten der FIFA ist frustrierend. Diese Eskalation führt dazu, dass es nicht mehr um den Sport geht. Es fühlt sich schon stark nach Zensur an.“ Auch der deutsche Kapitän Manuel Neuer sei „enttäuscht“.

„Wir waren willens, Geldstrafen zu zahlen, die normalerweise bei Verstößen gegen die Ausrüstungsvorschriften verhängt werden“, hatten die Europäer zuvor in einer gemeinsamen Mitteilung geschrieben: „Wir können unsere Spieler jedoch nicht in die Situation bringen, dass sie verwarnt oder gar gezwungen werden, das Spielfeld zu verlassen.“ Diese maximale Eskalationsstufe trauten sich die Verbände also nicht zu zünden. Neuendorf unterstrich, er habe „kein Interesse daran, den Dialog mit der FIFA einzustellen“, ganz im Gegenteil, man müsse im Gespräch bleiben. Er wolle „das Verhältnis zur FIFA nicht nachhaltig belasten“. Die FIFA begründete das Verbot mit von allen Teilnehmern anerkannten WM-Regularien. Explizit hob sie in einer Mitteilung vom Montag den Artikel 13.8.1 der Ausrüstungsregeln hervor: „Für FIFA Final-Wettbewerbe muss der Kapitän jeder Mannschaft eine von der FIFA gestellte Armbinde tragen.“ Die Fifa unterstütze Kampagnen wie „One Love“, aber dies müsse im Rahmen der bekannten Regeln erfolgen.

Zum Vorwurf, der DFB sei vor dem Weltverband eingeknickt, sagte Bernd Neuendorf mit Verve: „Gerade wir als DFB müssen uns dem Vorwurf nicht aussetzen. Wir haben erst vor einer Woche erklärt, dass wir keine Nominierung von Gianni Infantino zur Wiederwahl als FIFA-Präsident vornehmen werden. Das war ein deutliches Signal, dass wir nicht bereit sind, bestimmte Dinge mitzutragen. Da haben wir uns als einer von wenigen Verbänden klar positioniert.“

Die FIFA-Entscheidung traf verständlicherweise allenthalben auf harsche Kritik. „Das ist total lächerlich, mit einer Strafe zu drohen wegen eines Armbands. Ich verstehe das nicht“, sagte der niederländische Abwehrchef van Dijk nach dem 2:0-Auftaktsieg von Oranje gegen den Senegal. Auch Englands Kapitän Kane war bedient. „Die Entscheidung wurde aus meinen Händen genommen. Ich bin enttäuscht“, sagte der Stürmer nach dem 6:2-Sieg über Iran.

Dank der früheren englischen Nationalspielerin Alex Scott ist die One-Love-Binde am Rande des Spiels zwischen England und Iran am Montag aber doch zum Einsatz gekommen. Scott trug sie während ihres Auftritts als TV-Expertin der britischen BBC am Spielfeldrand im Khalifa-International-Stadion am linken Oberarm.

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