Knallhart ins K.o.-Spiel

von Redaktion

Deutschland braucht einen Sieg gegen Spanien – aber intern rumort es

VON MANUEL BONKE UND PHILIPP KESSLER

Doha – Ist es ein kluger Schachzug? Oder ein letzter Hilferuf? Wie unsere Zeitung erfahren hat, wurde vor dem wohl entscheidenden zweiten Gruppenspiel gegen Spanien (20 Uhr, ZDF und Magenta TV) auf Anregung von DFB-Mediendirektor Steffen Simon (57) der ehemalige Pressesprecher Jens Grittner (52) nach Katar beordert. Er soll sich vor Ort ein Stimmungsbild des DFB-Teams machen und dabei helfen, mit den belastenden politischen Themen wie dem Verbot der One-Love-Binde oder der Mund-zu-Geste umzugehen. Grittner wechselte mit Beginn des Jahres als Leiter in die neu gegründete DFB-Abteilung „PR Teams/Sport, Nachhaltigkeit und Projekte“. Die Leitung der Pressekonferenzen obliegt aber weiterhin seiner Nachfolgerin Franziska Wülle (30).

Eine Nacht-und-Nebel-Aktion, die zeigt, wie akut einsturzgefährdet das gesamte WM-Konstrukt des Deutschen Fußball-Bunds in Katar ist. Dabei wäre es aus sportlicher Sicht eigentlich angeraten, sich nur noch aufs nächste Spiel zu konzentrieren. Immerhin droht das Vorrunden-Aus. Doch es brodelt im Teamquartier. Am Donnerstag fand eine längere Krisensitzung von Mannschaft und Trainerteam statt – bei der es ordentlich gekracht haben dürfte. Zumindest, wenn man bei den Aussagen von Kai Havertz (23) und Julian Brandt (26) vom Freitag zwischen den Zeilen liest. „Wir haben 15 Monate auf das Spiel gewartet. Nun ist es an der Zeit, sich gegenseitig die Wahrheit zu sagen. Wir haben gute Persönlichkeiten im Team. Da ist es gut, sich direkt die Meinung zu sagen, was gut war und was nicht“, rekapitulierte Havertz das Japan-Spiel, nach dem es offensichtlich massiven Redebedarf gab: „Das macht ein Team am Ende stärker. Es ist nicht immer alles nur schön. Jetzt sind wir in einem schlechten Moment, das kann sich aber auch am Sonntag drehen.“

Brandt, der beim Vorrunden-Aus bei der WM 2018 Teil der Mannschaft war, schlug ähnliche Töne an: „Wir sind in einer Scheiß-Situation. Spanien kommt mit einem 7:0 im Rücken. Aber es ist auch eine Chance, die ganze Stimmung wieder zu drehen und Energie freizusetzen. Bei der EM im Vorjahr ging auch das erste Spiel verloren, dann wurde gegen Portugal 4:2 gewonnen.“

Angesichts der Gräben im Team fällt es derzeit allerdings schwer, an einen Sieg gegen die starken Spanier zu glauben. Zumal offenbar nicht alle Spieler ihr Eigeninteresse dem Mannschaftserfolg unterordnen: Hinter vorgehaltener Hand fällt in diesem Zusammenhang der Name von Leon Goretzka (27). Der Mittelfeldspieler könnte zum Härtefall für Flick werden. Seine Einwechslung für Ilkay Gündogan (32) gegen Japan brachte dem Trainer bereits massiv Kritik ein. Es ist von einem Harmonie-Wechsel die Rede, da Goretzka keinen Hehl aus seiner schlechten Laune machte, nachdem er nicht in der Startformation stand – was für die Atmosphäre im Team nicht förderlich war. Auf dem Platz dann wirkte Goretzka übermotiviert, um seinen Trainer von einem künftigen Stammplatz zu überzeugen. Beim Treffer zum zwischenzeitlichen 1:1 sah der Münchner jedenfalls nicht gut aus.

Bei der Teamsitzung kamen viele Punkte auf den Tisch. Beispielsweise das Verhalten in den letzten 20 Minuten. „Wenn du 1:0 führst und die Chancen nicht nutzt, dann müssen wir das Spiel verteidigen und gewinnen dann eben unspektakulärer“, forderte Brandt. Bei der Frage nach fehlenden Führungsspielern hat der Profi von Borussia Dortmund eine klare Haltung: „Wir sind alles Führungsspieler bei unseren Vereinen. Es hilft nicht, wenn nur zwei, drei Jungs vorweggehen. Ich habe auch ein gutes Gefühl, dass jeder Verantwortung übernehmen will.“ Dazu gehört jedoch auch, sein Ego hintanzustellen.

Und nicht etwa eine negative Grundstimmung in der Heimat für den schwachen Auftritt verantwortlich machen. Denn auch diese These wird unter den Spielern vertreten – und Chelsea-Legionär Havertz sprach es in aller Öffentlichkeit aus: „Ich kann verstehen, dass jetzt Negativität aufkommt. Ich weiß, dass immer viel gegen uns geschossen wird und nicht jeder hinter uns steht“, klagt er. „Wir wissen, dass aus Deutschland nicht der 100-prozentige Support gegeben ist.“ Die beste Antwort darauf wäre ein Sieg gegen Spanien im vorgezogenen ersten K.o.-Spiel am Sonntag.

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