Al-Chaur – Deutschland spielt wieder mit Mittelstürmer – und mit was für einem. Die Fußballwelt staunt über den international bis dato unbekannten DFB-Retter Niclas Füllkrug. Diesen verblüffenden „Killer mit der Zahnlücke“, wie die ehrwürdige britische „Times“ dichtete. „Einen unglaublich geilen Typen“, nannte WM-Veteran Thomas Müller den baumlangen Bremer Torjäger „mit dem Hammer mit dem rechten Fuß“. Kapitän Manuel Neuer diktierte seine Begeisterung im Telegrammstil: „Als Typ super – und als Spieler auch.“
Den treffendsten Satz über Füllkrug, Spitzname „Lücke“, formulierte Abwehrchef Antonio Rüdiger. „Niclas gibt uns vorne etwas, was wir so nicht haben.“ Der Torjäger klassischer Prägung stillt die Sehnsucht im Land des viermaligen Weltmeisters nach dem echten Neuner. Dieser war Füllkrug in der 83. Minute, als er im Strafraum entschlossen zum Balldieb wurde und mit seinem fulminanten Torschuss für erste deutsche Glücksgefühle bei dieser WM sorgte. Und danach? Stand der 29-Jährige, der erst elf Tage zuvor im Oman zum Nationalspieler geworden war (übrigens gleich mit dem Siegtor zum 1:0) nach Mitternacht im Al-Bait-Stadion und mochte sein so wichtiges Tor nicht noch wichtiger machen als es war. „Ich bin in solchen Situationen sehr entspannt. Es ist ja nicht das erste Tor, das ich geschossen habe, auch nicht das erste wichtige. Und das eine Tor von mir bringt mir relativ wenig, wenn wir am Ende nicht die Gruppenphase überstehen.“
2. Bundesliga, Bundesliga, Weltmeisterschaft – ist doch ganz egal, wann und wo dieses coole Nordlicht als Stürmer trifft. „Lücke“ ist eben „Lücke“. Weltfußballer Robert Lewandowski, der Torminator schlechthin auf dem Fußball-Globus, vergoss Tränen, als er in Katar gegen Saudi-Arabien endlich sein erstes WM-Tor erzielte. „Fülle“ lieferte ein Adventsgedicht, dass sich noch zu einem WM-Weihnachtsmärchen entwickeln könnte.
Füllkrug besetzte mit Wucht die deutsche Leerstelle im gegnerischen Strafraum, wo Kai Havertz gegen Japan (1:2) und Müller bis zu seiner Auswechslung gegen Spanien maximal Behelfslösungen darstellten. „Ich glaube, es war wichtig, dass irgendjemand den Knoten hat platzen lassen“, sagte der Mann des Abends. Treffend auch ein weiterer Satz von ihm. „Wir brauchen jetzt auch nicht durchzudrehen, es ist ein 1:1 und kein Sieg.“ Am Donnerstag gegen Costa Rica droht immer noch das Vorrunden-Aus.
Füllkrug, der so spät berufene Mittelstürmer, ist nun der Hoffnungsträger. Ein Mann, der in beiden Knien einen Knorpelschaden hatte. Den ein Kreuzbandriss in seiner Karriere zurückwarf. Der vor einem Jahr in der 2. Liga spielte, zeitweise auf der Bank saß. Und sich mit zehn Toren in dieser Bundesliga-Saison in den Fokus von Hansi Flick spielte – und jetzt WM-Spieler ist.
Er bringt das „Momentum“ mit, wie der Bundestrainer sagte. Das Selbstbewusstsein, den Lauf, den ein Stürmer braucht. Kurzum: Füllkrug ist „on fire“, wie seine Werder-Kollegen nach der Nominierung grölten. „Fülle ist ein Teamleader, er bringt viel Energie rein“, sagte Flicks Assistent Danny Röhl. Das demonstrierte er beim Schuss ins Glück gegen Spaniens Torwart Unai Simon. Er klaute dabei frech Jamal Musiala den Ball vom Fuß, nahm ihn mit links mit und versenkte ihn mit dem rechten Fuß hoch oben im langen Eck.
„Ich war einfach total im Lauf. Jamal hat den Ball total stark festgemacht. Und dann lag der Ball mir vor den Füßen. Ich habe ihn mitgenommen, weil ich einfach im Tempo war. Und dann war es einfach nur Instinkt. Dass der Ball so in der Ecke landet, ist schön“, schilderte Füllkrug seinen großen WM-Moment.