Mit der Liegestütz-App zum Erfolg

von Redaktion

So tickt der WM-Torschütze privat

Bremen – Wenn Niclas Füllkrug für den SV Werder Bremen trifft, dann präsentiert sein Club in den sozialen Medien gerne ein kleines Filmchen mit dem Torschützen, der stolz auf seinen angespannten Bizeps zeigt. Und der kann sich wahrlich sehen lassen. Aus dem Stürmer ist in den vergangenen Jahren ein echter Schrank geworden, der inzwischen auch bei einer Fußball-Weltmeisterschaft trifft. Nach seinem Ausgleichstreffer beim 1:1 der deutschen Nationalmannschaft gegen Spanien ist der 29-Jährige plötzlich weltweit in aller Munde. Alle wollen wissen, wie es zu diesem Fußball-Märchen vom Zweitliga-Stürmer zum WM-Star kam. Die Antwort ist ganz einfach: harte Arbeit, bei der eine Liegestütz-App eine nicht ganz unwichtige Rolle spielte.

„Er macht so einen Liegenstütz-Contest, dafür gibt es eine App. Irgendwann machst du 1498 Liegestütz hintereinander. Deswegen auch die Oberarme. Da muss man sich nicht wundern, wie seine Bizeps und Trizeps aussehen“, verriet Tim Borowski unlängst. Der Ex-Profi muss es wissen, er war von 2019 bis 2021 Füllkrugs Co-Trainer bei Werder. Mit den 1498 Versuchen am Stück hat der ehemalige Nationalspieler natürlich scherzhaft übertrieben, aber der Einsatz von Füllkrug ist schon enorm. Vier- bis fünfmal in der Woche absolviert er einen speziellen Kraftzirkel, dazu hat er längst seine Ernährung umgestellt. Da kommt ihm entgegen, dass er selbst gerne kocht – nicht nur für sich, sondern auch für seine Familie. Ehefrau Lisa und Töchterchen Emilia sind für ihn das Wichtigste im Leben. „Er ist ein unglaublich warmherziger Typ – dazu offen und sehr gerade. Er ist ein großartiger Familienmensch“, sagt Berater Gunther Neuhaus über seinen Klienten, der weitaus mehr als das für ihn ist. Beide stammen aus Hannover und kennen sich schon sehr lange. Sie haben viele Höhen, aber eben auch Tiefen mit schweren Verletzungen durchgemacht.

Füllkrug beherrscht es inzwischen nahezu perfekt, mit beiden Extremen gut umzugehen. Obwohl er sehr emotional ist, kann er auch ganz ruhig und nüchtern bleiben. So wie nach seinem fulminanten Tor gegen Spanien. „Es war wichtig, dass heute jemand den Knoten hat platzen lassen“, formulierte er nach dem Spiel und sah in seinem wirklich sehenswerten Tor keine große Besonderheit: „Das ist dann schon ein Automatismus, den man auch trainiert.“ Wer häufiger beim Training des SV Werder Bremen zuschaut, den überrascht das nicht. Wenn Trainer Ole Werner die Einheit beendet hat und die Kollegen in die Kabine trotten, dann bleibt Füllkrug auf dem Platz, schnappt sich einen Torwart und einen Mitspieler, um Abschlüsse zu üben. Aus allen Positionen, abwechselnd mit beiden Füßen. Nicht verbissen, sondern mit Spaß, da wird auch viel gelacht.

Füllkrug muss sich wohlfühlen. Was passiert, wenn das nicht der Fall ist, zeigte der Sommer 2021. Mit dem neuen Coach Markus Anfang kam er überhaupt nicht klar. Als ihm dann auch noch Marvin Ducksch als Neuzugang vor die Nase gesetzt wurde, war der Frust groß. Anfang wollte ihn rausschmeißen, Fritz und Sportchef Frank Baumann setzten sich für eine kurze Suspendierung vom Training ein. Anfang ging, weil er seinen Impfpass gefälscht hatte. Dessen Nachfolger Ole Werner verzichtete nie mehr auf den Angreifer, ließ ihn gemeinsam mit Ducksch stürmen, geboren waren die „hässlichen Vögel“, wie Füllkrug sich und seinen Partner selbst betitelte. Mit Spitznamen kennt sich der 29-Jährige aus, er hat gleich mehrere. Bei Werder nennen sie ihn „Lücke“, wegen seiner Zahnlücke. Dort wurde mal in seiner Jugend Platz für ein Implantat geschaffen, darauf dann aber verzichtet. Nun ist es sein Markenzeichen.

Bei der Nationalmannschaft wird er als „unglaublich geiler Typ gefeiert“ – und zwar von keinem Geringeren als Weltmeister Thomas Müller. Jeder gönnt dem Mittelstürmer dieses Fußball-Märchen. Denn eigentlich hatte Füllkrug die große Bühne des Sports schon verlassen – durch Verletzungen und den Abstieg mit Werder. Erst drei Knorpelverletzungen, dann auch noch 2019 ein Kreuzbandriss – viel härter kann es die Knie eines Fußball-Profis nicht treffen. Da wurde schnell vergessen, dass der Mittelstürmer 2018 schon mal an das Tor zur Nationalmannschaft geklopft hatte und ihn Borussia Mönchengladbach für über 20 Millionen Euro von Hannover 96 wegholen wollte. 96-Boss Martin Kind ließ ihn damals nicht ziehen, erst ein Jahr später durfte Füllkrug gehen – zum SV Werder, wo er es einst von der Jugend bis zu den Profis geschafft hatte, dann aber verliehen und letztlich ganz abgegeben worden war. Auch das ist eine in der Rückschau besondere Geschichte. BJÖRN KNIPS

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