Alle Augen auf Frappart

von Redaktion

Schiedsrichterin schreibt Geschichte – Söder: „Vorbild für alle“

VON HANNA RAIF

München – Was sind schon 44 Spiele, wenn man knapp 100 Jahre gewartet hat? 21 Fußball-Weltmeisterschaften und fast eine ganze Gruppenphase mussten vergehen, ehe die Französin Stéphanie Frappart heute Abend im Ahmed- bin-Ali-Stadion Geschichte schreiben darf. Die Augen richten sich im entscheidenden Gruppenspiel der deutschen Nationalmannschaft gegen Costa Rica nicht nur auf die Profis, sondern auch – oder besser: vor allem – auf die Unparteiische. Auf die eine Frau unter 22 Männern.

„Es ist ein historischer Tag für uns“, sagt Angelika Söder, die heute Abend natürlich den Fernseher einschalten wird. Die 33-Jährige spricht für ihre ganze Zunft, denn sie ist eine von fünf deutschen FIFA-Schiedsrichterinnen, pfeift seit zehn Jahren in der Regionalliga und hat zuletzt selbst Geschichte geschrieben. Im März zeichnete sie für die erste Partie der Liga verantwortlich, die von einem gesamten Frauen-Gespann geleitet wurde. „Das war etwas Besonderes“, sagt sie: „Aber sonst ist mein Geschlecht kein Thema.“

Das wird heute Abend freilich anders sein. „Es wird auf Stéphanie geschaut. Denn die WM war ja bisher eine echte Männerdomäne“, sagt Söder. Der Druck ist hoch, aber Frappart schultert ihn wie in ihren 235 Einsätzen zuvor. Solide, unaufgeregt, bestimmt. Söder weiß: „Sie hat sich durch ihre Leistung in Spielen und im körperlichen Bereich für die WM empfohlen. Das ist jahrelange Arbeit, die jetzt honoriert wird.“

Für die 38 Jahre alte Frappart ist es bereits der siebte Einsatz in einem A-Länderspiel. Allein in dieser Saison war sie schon 13 Mal in den höchsten Männerklassen nominiert, zuletzt pfiff sie Anfang November den 5:1-Sieg von Real Madrid gegen Celtic Glasgow in der Königsklasse. Söder sieht die Französin als „Vorbild für viele junge Schiedsrichterinnen“ und zieht gerne den Vergleich zur einstigen deutschen Spitzenkraft Bibiana Steinhaus-Webb. Als die inzwischen zurückgetretene Ehefrau des englischen Referees Howard Webb 2017 als erste Vertreterin eine Bundesliga-Partie leitete, habe auch Söder im Training „einen richtigen Push“ gespürt: „Es ist schon noch mal etwas anderes, wenn man sieht, dass es möglich ist, so weit zu kommen.“

Steinhaus-Webb galt einst als beste Schiedsrichterin der Welt und leistete wichtige Vorarbeit, die Frappart genau wie die ebenso nominierten Yoshimi Yamashita (Japan) und Salima Mukansanga (Ruanda) nun auf der ganz großen Bühne nutzen können. Söder sieht die Entwicklung positiv, sie will aber gar keine große Geschlechter-Debatte zulassen. Ob die Zeit überreif war? „Es war noch nie so präsent in der Gesellschaft. Ich sehe das ein bisschen wie die Frauenquote in großen Firmen. Da sind auch Frauen im Vorstand – weil sie genauso gute Arbeit liefern.“

Eingesetzt werden sollen die, die Leistung bringen – Frappart gehört dazu. Deshalb wünscht sich Söder, Mutter einer knapp zweijährigen Tochter, auch, dass das Thema nach der heutigen Premiere nicht mehr allzu groß ist. Frappart soll, darf, ja, kann zeigen, dass „Frauen an der Pfeife gar nicht so spektakulär sind“. Denn „am Ende geht es nicht darum, dass gesagt wird: Die Frau hat gut gepfiffen. Sondern: Es war eine gute Leistung der Unparteiischen.“ Daran, dass das gelingt, hat Söder genauso wenig Zweifel wie der Bundestrainer. Hansi Flick sagte gestern mit Blick auf Frappart: „Ich habe 100 Prozent Vertrauen.“

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