München – Die Vorbereitung war lang, wie immer. Wenn der Rest der Nation Eis schleckt, ins Freibad geht und laue Sommernächte genießt, ist für Christian Thurner schon längst Winter. An parallel bis zu 15 Schlitten hat der Techniker den vergangenen Monaten geschraubt, ab diesem Wochenende aber heißt es für ihn: „Mehr Qualität, weniger Quantität.“ Wenn Felix Loch, die Olympiazweite Anna Berreiter und Co. in Innsbruck-Igls in die Weltcup-Saison starten, wird auch Thurners Wirken zum ersten Mal richtig bewertet. Denn er ist seit dem Sommer: der Chef.
Es ist nicht ganz fair, den gelernten Handwerksmeister in Werkzeugmechanik als „neuen Hackl Schorsch“ zu bezeichnen – und es wird ihm auch nicht gerecht. Zwar steht Thurner als Nachfolger von Hackl, der nach den Olympischen Spielen überraschend zum österreichischen Verband wechselte, genauso in der Verantwortung, wie es das Technik-Urgestein mehr als ein Jahrzehnt lang getan hat. Er geht dabei aber seinen eigenen Weg. Hackls Abgang hat ihn genauso überrascht und ja, auch enttäuscht, wie den Rest des Teams. Aber Thurner sagt: „Er eröffnet uns neue Möglichkeiten und Ansätze.“ Für ihn und auch die Athleten sei der Weggang „ein Anstupser“ gewesen, „das ganze Thema mit noch mehr Energie voranzutreiben“. Er denkt beispielsweise deutlich moderner, computergestützter als Hackl.
Wie gut das gelungen ist, wird man ab heute sehen können. Die letzten Bahntrainings werden mit Spannung erwartet, denn sie ermöglichen den ersten internationalen Vergleich der Saison. Thurner geht davon aus, dass die Spitzenathleten Loch, Berreiter (beide Berchtesgaden), Julia Taubitz (Oberwiesenthal) und Dajana Eitberger (Ilmenau) regelmäßig auf dem Podium stehen werden. Vor allem bei der jungen Garde um Merle Fräbel (Suhl), David Nössler (Schmalkalden), Mathis Ertel (Altenberg) und Timon Grancagnolo (Chemnitz) ist seine Expertise und die seines Oberhofer Kollegen Robert Eschrich aber noch intensiv gefragt. Die Schlitten sind im Rodeln passgenau zugeschnitten, Thurner spricht von „Reifezyklen“ im Laufe einer Karriere. Am Gerät von „Technikfuchs“ Loch etwa müssen nur noch Nuancen verändert werden, während bei anderen Sportlern Kufen, Schienen, aerodynamische Komponenten und Anbauteile ständig auf dem Prüfstand stehen. Generell gilt: „Stillstand ist Rückstand.“ Oder wie Thurner schön formuliert: „Ich muss jeden Tag meinen Hirnschmalz anstrengen.“ Oft mehr als 13 Stunden am Tag.
Der Job, den der 29-Jährige ausführt, erfordert Akribie und Leidenschaft – Thurner bringt beides mit. Vor allem in den Bau der Doppelsitzer musste er heuer viel Energie stecken. Breiterer Spurabstand, flacherer Schlitten, kürzes Heck: Das neue FIL-Reglement hat umfassende Änderungen an den Schlitten der Olympiasieger Tobias Wendl/Tobias Arlt (Berchtesgaden) und der Silbergewinner Toni Eggert/Sascha Benecken (Ilsenburg/Suhl) vorgeschrieben. Erstmals wird zudem in Jessica Degenhardt/Cheyenne Rosenthal (Altenberg/Winterberg) ein Frauen-Doppel in den Weltcup geschickt. Die Erwartungen sind hoch, das weiß Thurner. Den Spaß an der Sache aber verliert er nicht.
Die Athleten schätzen, fördern und fordern ihn, das Klima ist freundschaftlich-professionell. Als Loch unter der Woche mit den Worten „bis jetzt vermisst niemand den Schorsch“ zitiert wurde, war das kein Seitenhieb in Richtung des „alten“ Technikers, sondern ein Lob für den „neuen“. Thurner übrigens freut sich auf das Wiedersehen an der Bahn. Er sagt: „Schorsch und ich können immer noch einen Kaffee zusammen trinken.“ Nur für ein Eis im Sommer wird seltener Zeit sein.