Al-Rayyan – Louis van Gaal saß nach dem 3:1-Achtelfinalsieg über die USA in der Pressekonferenz neben Denzel Dumfries, den die FIFA als „Man of the Match“ ausgezeichnet hatte, und sagte: „Erst gestern oder vorgestern habe ich Denzel einen dicken, fetten Kuss gegeben. Und das mache ich jetzt wieder.“ So beugte sich der Bondscoach hinüber zu seinem Spieler – und: Schmatz. Die Louis-van-Gaal-Show, Teil 1.
Weiter ging es im Mannschaftshotel: Der niederländische Verband hielt die vom Personal umjubelte Rückkehr in einem Video fest, van Gaal tanzte, mit dem Smartphone filmend, die Gastgeber an. Es war ihm nicht anzumerken, dass er 71 und in Krebsbehandlung ist. Louis van Gaal ist in Katar ein glücklicher Mann – und der festen Überzeugung, dass er auf den größten Erfolg seiner Laufbahn zustrebt: den WM-Titel.
Mit dem Standort Doha verbindet sich bei ihm eigentlich eine große Niederlage: Im Januar 2011 bestritt er hier das erste Katar-Trainingslager des FC Bayern und war vor allem damit beschäftigt, sich in Richtung Entlassung zu provozieren, als er Vereinspolitik machte, gegen die nahende Verpflichtung von Manuel Neuer opponierte und den überforderten jungen Torhüter Thomas Kraft für seine Zwecke instrumentalisierte. Selbst seinen Vertrauten Mark van Bommel vertrieb er – das wilde Treiben endete im Rauswurf wenige Monate später. Aus dem Geschäft war van Gaal dennoch nicht. Die niederländische Nationalmannschaft trainiert er nun schon ein zweites Mal – nach der WM 2014 (Platz 3) ist sie wieder auf ihn zurückgekommen.
Natürlich geht dies nicht ohne lustvollen Streit zwischen General Louis mit Medien und Öffentlichkeit. Wie schon vor acht Jahren ist er von Grundprinzipien des schönen Spiels, dem Oranje-Markenzeichen, abgewichen. „In Holland ist man es gewohnt, den Ball zu haben und dass wir mehr Chancen erspielen“, sagt Dumfries. Und weil das bei dieser WM nicht zu sehen ist, „gibt es zu Hause viel Kritik“. Aber: Oranje gewinnt und entwickelt die Überzeugung, dass es richtig ist, was der Bondscoach vorgibt. „Wir haben doch wunderschöne Tore erzielt“, meint van Gaal zum 3:1 über die Amerikaner, „und ein Tor war ein richtiges Teamtor.“ Also seines, Kreation Louis van Gaal. Das 1:0 durch Memphis Depay (10. Minute) nach einer Blitzserie von 20 Pässen. „Dieses Tor hat der Trainer ausgearbeitet“, bestätigt die Sturmentdeckung Cody Gapko. „Das ist der Kern des Systems, wenn es richtig ausgeführt wird“, fügt Dumfries hinzu.
Zum System gehört auch eine klare Hierarchie. Van Gaal ist kein Trainer, der seine Prinzipien für sich behält, er hat in Doha erläutert, wie er eine erste Elf zusammenstellt: „Bis zu vier kreative Spieler – die anderen müssen sich unterordnen.“ So schafft es auch einer wie der Ex-Bremer Davy Klaasen, ein unauffälliger Arbeiter unter lauter Hochbegabten, in die Elftal.
Und über allen schwebt natürlich der väterliche Oberbefehlshabende Louis van Gaal. Er hatte auch zu kritisieren: Zu viele Chancen der Amerikaner, und obwohl 2:0 gewonnen, fand er „die erste Halbzeit nicht akzeptabel“. Dennoch glaubt er an weitere Steigerung und an einen Sieg im Viertelfinale am Freitag gegen Argentinien. Der Gegner würde, anders als die US-Boys, zu groß sein, „um sich an uns anzupassen. Wir haben große Chancen.“ Und van Gaal zitiert sich selbst: „Schon vor einem Jahr habe ich gesagt, dass wir Weltmeister nicht nur werden wollen, sondern es können.“