Auszeit statt Bellingham-Show

von Redaktion

Frustrierter Musiala will nicht mehr WM schauen – Bayern kündigt Vertragsgespräche an

VON HANNA RAIF

München – Der Fernseher im Familienhaus in Feldkirchen bleibt womöglich sogar am Samstag aus, und das muss etwas heißen. Denn wenn Jude Bellingham mit England gegen Frankreich um den Einzug ins WM-Halbfinale kämpft, hätte Jamal Musiala eigentlich gleich mehrere gute Gründe, genau hinzusehen. Zum einen stehen auf Seiten des Weltmeisters in Stammspieler Dayot Upamecano und den beiden Reservisten Kingsley Coman und Benjamin Pavard gleich drei Mannschaftskollegen vom FC Bayern in diesem Viertelfinale. Zum anderen ist sein Kumpel Bellingham auf dem besten Weg, zum Superstar des Wüsten-Turniers zu werden. Unter normalen Umständen würde Musiala einen Fußball-Abend wie diesen lieben. Aber was ist dieser Tage schon normal?

Ja, der Stachel sitzt tief, daran hat auch die eine Woche Abstand zum bitteren Vorrunden-Aus mit dem DFB-Team nichts geändert. Die Tränen aus dem Al-Bayt-Stadion mögen getrocknet sein, die Schultern wieder aufgerichtet. Aber wer diesen 19 Jahre alten Burschen da in den Momenten beobachtet hat, in denen der deutsche Fußball in sich zusammenbrach, kann sich ausmalen, dass die Verarbeitung des Geschehenen Zeit braucht. Eine echte Fußball-Auszeit will Musiala sich gönnen, ehe es Anfang Januar beim FC Bayern weitergeht. Er will nichts hören, nichts sehen, auch nicht viel sagen, sondern abschalten. Auf Reisen mit der Familie, es geht durch Europa. Und bei einem schönen gemütlichen Weihnachtsfest.

Der Blick nach Katar schmerzt ihn zu sehr, vor allem freilich jener auf Kumpel Bellingham. Denn der zeigt im England-Trikot gerade genau die Leistung, die Musiala sich für seine erste WM vorgenommen hatte. „Er hat alles, was es braucht“, sagt etwa Kapitän Harry Kane über den 19-Jährigen, der bei den „Three Lions“ inzwischen genauso die Strippen zieht wie im Mittelfeld von Borussia Dortmund. Bellingham ist körperlich robust, mental stark und schon jetzt die tragende Figur im Team von Gareth Southgate. Ganz bewusst hat Englands Coach sein System umgebaut, um Bellinghams Stärken noch mehr zu fördern. Seine Präsenz auf dem Feld ist enorm, am bisher souveränen Auftritt von England hat er mit den größten Anteil – und nährt freilich Hoffnung auf den ganz großen Coup.

Für Musiala ist das doppelt bitter, denn die rasante Entwicklung von ihm und Bellingham ist bis jetzt parallel verlaufen. In Englands Jugendteams spielten sie gemeinsam, in der Bundesliga verzücken sie, in der Rangliste der Marktwerte rangieren sie mit 100 Millionen Euro ganz oben. Musiala wäre so gerne jetzt auch da, wo Bellingham ist. Auf dem Rasen, in Katar. Als Trost werden da auch warme Worte von Oliver Kahn in der „Sport Bild“ nicht viel helfen. Sie lauten: „Natürlich war Jamal einer der Lichtblicke dieser WM aus deutscher Sicht.“ Er zeigte beispielsweise in der Vorrunde mit Abstand die meisten Dribblings aller Nationen. Als Bilanz bleiben trotzdem: frühes Aus, kein Tor.

Die Bayern wissen, wie sehr Musiala zu knabbern hat. Und sie wissen auch, dass sie ihn aus dem Loch wieder rausziehen müssen. Schon vor der WM haben sie bei Mama Carolin Gespräche angekündigt, um den bis 2026 laufenden Vertrag frühzeitig zu verlängern. Man will das Team um ihn formen. Kahn ergänzte: „Jamal ist ein wichtiger Baustein für die Zukunft des FC Bayern.“ Die Sätze dürften immerhin bei ihm angekommen sein – denn sie liefen nicht nur im TV.

Artikel 1 von 11