Die Taube fliegt ins Rampenlicht

von Redaktion

Richarlison beschert Brasilien Traumtore – und vereint die gespaltene Heimat

Doha – Vor ein paar Monaten hat die Taube ihr Katzen entdeckt. Im Heimaturlaub schaute Richarlison im Pantanal vorbei. Und in dem riesigen Naturparadies adoptierte Brasiliens neuer Stürmer-Liebling, den alle nur Pombo (Taube) nennen einen Jaguar. Weil es ihm wichtig war, ein Zeichen für die Natur zu setzen. Notiz genommen haben seinerzeit nicht viele. Weil sich dieser Richarlison da Andrade bis zur Weltmeisterschaft in Katar in seinem Land eher unter dem Radar bewegte.

Das wird sich nun ändern. Von den Traumtoren des 25-Jährigen gegen Serbien und Südkorea schwärmt die ganze Fußballwelt. Und plötzlich liebt auch Brasilien diesen Mann. Der seinen Spitznamen weghat seit er für ein Jux-Video mit Freunden wie eine Taube tanzte. Ihn selbst stört es nicht. Im Gegenteil, der Stürmer der Tottenham Hotspurs pflegt sein Vogel-Image. Als der Ex-Bayer und heutige Liverpooler Thiago die Entschuldigung des Brasilianers für ein schweres Foul unkommentiert ließ, twitterte Richarlison zerknirscht: „Er hat die Taube ignoriert.“

Man ahnt: Der Mann ist anders als so vieles in der Glitzerwelt des Fußballs. Schon des öfteren hat er den Finger gehoben um auf soziale Missstände, auf Rassismus oder die Zerstörung der Natur hinzuweisen. Was er tut – anders als so viele im tief gespaltenen Land des Rekordweltmeisters – ohne sich politisch zu positionieren. „Es ist wichtig, die Stimme zu erheben, die Leute zu mobilisieren“, sagte er selbst.

Spätestens das macht ihn auch zu einer Art Gegenmodell für seinen Kapitän Neymar. Brasiliens Superstar, bei dem so vieles choreographiert wirkt, warb bekanntlich offen für den Noch-Präsidenten Jair Bolsonaro. Wohl auch deshalb schieden sich an der Verletzung des Ausnahme-Könners in der WM-Vorrunde so sehr die Geister. Richarlison spaltet nicht, er vereint. Kaum jemand unter dem Zuckerhut, der sich dieser Tage nicht mit dem blondgefärbten Mann aus Nova Venecia identifiziert.

Dabei hatte sich Nationalcoach Tite noch zum Turnierstart heftige Kritik gefallen lassen müssen. Weil er statt auf den formstarken Gabriel Jesus (FC Arsenal) auf Richarlison setzte, der in Tottenham nie aus dem Schatten von England-Kapitän Harry Kane treten konnte – und sich obendrein kurz vor der Weltmeisterschaft am Fuß verletzte. Doch Tite wischte die Kritik beiseite. „Ich bin nicht hier, um Liebling bei Twitter zu werden“, fauchte Brasiliens Erfolgscoach, „ich will Weltmeister werden.“

Eindrucksvoller hätte ihm Richarlison das Vertrauen kaum zurückzahlen können. Auch seinetwegen steuert Brasilien unwiderstehlich geradewegs dem sechsten WM-Titel entgegen. Nächste Station am Freitag (16 Uhr). Dann soll auch Vize-Weltmeister Kroatien die Taube kennenlernen.  rp/dpa/sid

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