Wie sehr kann das Binden-Thema die DFB-Mannschaft auf dem Platz beeinflusst haben?
Die Mannschaft war nicht zu 100 Prozent bei der Sache im Spiel gegen Japan. Hinzu kommt, dass die Diskussion auch intern schnell zur gewissen Spaltung geführt haben könnte. Wenn Spieler unterschiedlicher Meinung sind – Binde ja, Binde nein – wird eine Mannschaft schnell in zwei Lager gespalten.
Ist es ein Kopfproblem, dass es vor dem Tor nicht geklappt hat?
Der Hauptgrund für das Scheitern ist aus meiner Sicht die fehlende mentale Stärke. Wir haben so viele Spieler mit hoher spielerischer Qualität. Ob z.B. das Mittelfeld Musiala, Goretzka, Kimmich, Gnabry, Sané, Havertz. Alle haben diese Saison bereits mehrfach gezeigt, zu was sie fähig sind. Die haben das Spielen ja nicht in den letzten Wochen verlernt. Es fehlte in der Nationalmannschaft einfach das Selbstvertrauen in die eigene Stärke. Keiner hat offen ausgesprochen oder darauf vertraut, Costa Rica mit acht Toren schlagen zu können, was absolut möglich gewesen wäre bei einer höheren Effizienz.
Kimmich und Co. waren down. Besteht die Gefahr, in ein Loch zu fallen?
Kimmich ist ein sehr sensibler Spieler. Er besitzt einen hohen Perfektionismus und hat höchste Ansprüche an sich selbst. Er will unbedingt der nächste Kapitän werden. Dadurch setzt er sich extrem unter Druck, dem er aktuell nicht standhält. Wenn jemand seinen eigenen Erwartungen nicht gerecht wird und das bereits seit längerem, dann hat das signifikanten Einfluss aufs eigene Leistungsvermögen. Vor allem, wenn die Angst dazu kommt, dass es so bleibt oder gar noch schlechter wird. In einem Zustand von Angst können wir teils nur noch 60 Prozent unseres Leistungsvermögens abrufen. Kimmich ist also gut beraten, im mentalen Bereich an sich zu arbeiten. Das Potenzial hat er allemal. Im Endeffekt ist er fast zu intelligent. Intelligenz ist einer der größten Erfolgsverhinderer, die es gibt. Interview: Manuel Bonke