WM-TAGEBUCH

Ich bin dann mal lesen…

von Redaktion

VON GÜNTER KLEIN

Genialer Film: Roman Polanskis „Tanz der Vampire“ von 1967. Überragende Szene: Vampirjäger Professor Abronsius ist in den Händen von Superblutsauger Graf Krolock, doch bevor der zubeißt, zeigt er seinem Gefangenen die Bibliothek. Der schusselige Prof ist begeistert, als sich die Flügeltüren öffnen, mit ausgebreiteten Armen und einem „Oh, oh“ läuft er den Bücherwänden entgegen. Einen solchen Moment hatte ich auch. Alles hier betrachte ich durch den Filter, dass Katar ja schon ein schurkiger Staat ist. Als ich an der „Qatar National Library“ vorbei spazierte, dachte ich: Schaust du halt mal rein – falls sie dich reinlassen. Ich trat ein und „Oh oh“ wusste ich gar nicht, auf welches Regal in welcher Etage ich zuerst zusteuern sollte. Eine riesige, lichte Halle, offen für jeden, kein Bibliotheksausweis erforderlich. Und sie haben: alles. Erstes nach Zufallsprinzip ausgewähltes Regal: Spanische Literatur. Dann ging es nach oben: English Literature – meterweise Shakespeare, mindestens zwanzig Ausgaben von „King Lear“. American Literature, Novels in allen Sprachen. Und zwischen den Themenblöcken: Arbeitsplätze, Leseinseln, Polstersitzlandschaften, ein Café, Tablets für die Suche von Titeln. Immer tiefer könnte man vordringen, Entdeckungen machen – wie in der verwinkelten Klosterbücherei in „Der Name der Rose“. Die „Qatar National Library“ liegt übrigens gegenüber dem Pressezentrum der WM. Ich werde in der verbleibenden Woche noch öfter über die Straße gehen. Falls Sie nichts mehr von mir lesen: Ich bin lesen.

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