Kein Gedanke ans Karriereende

von Redaktion

Ski-Unfall: Neuers Saison-Aus schockt Bayern – Aufgeben will der Keeper nicht

VON HANNA RAIF, SEBASTIAN GRAUVOGL UND MANUEL BONKE

München – Die Drähte glühten heiß in Murnau am idyllischen Staffelsee, denn der prominente Patient in der Unfallklinik hatte viel zu besprechen. Als die wichtigste Frage – wie, auf welchem Kanal und mit welchem Worten unterrichtet man die Öffentlichkeit von der Horror-Nachricht? – geklärt war, stand die Leitung nicht mehr still. Hansi Flick rief an, die Verantwortlichen des FC Bayern sowieso, dazu Freunde, Weggefährten, Berater. Und diejenigen, die zum frisch operierten Manuel Neuer durchdrangen, erzählen alle dasselbe: Der 36-Jährige ist trotz der Fraktur im rechten Unterschenkel, die für ihn gleichbedeutend mit dem Saison-Aus ist, gut drauf. Weil er Vertrauen in sich selbst hat.

Dabei war das, was sich am Freitag auf einer Skitour mit Freunden am Spitzing ereignet hat, freilich auch für den Nationaltorhüter ein echter Schock. Neuer stürzte im unteren Bereich des steilen und zu diesem Zeitpunkt schneearmen, sowie vereisten und buckligen Südhang des Roßkopf. Die Gruppe setzte einen Notruf ab, woraufhin sich drei Bergwachtler mit dem Ski-Doo auf den Weg machten. Vom Gipfel aus stiegen sie dann zu Fuß zur Unfallstelle ab, schilderte Bergwacht-Pressesprecher Lenz Haberle. Zunächst hätten die Einsatzkräfte wegen Helm und Mütze nicht erkannt, wenn sie hier als Patient erstversorgen mussten. Dann sei aber schon klar geworden, „dass es der Herr Neuer ist“.

Weil eine Abfahrt mit dem Akja auf dem vereisten Schnee zu gefährlich und vor allem zu weit gewesen wäre, brachte man den Bayern-Star mit dem Hubschrauber ins Tal. Da der Heli ohnehin aus dem Unfallklinikum Murnau gekommen sei, habe man Neuer dann auch direkt dort zur Weiterbehandlung hingeflogen. Übrigens keine Promi-Spezialbehandlung, wie Haberle auf Nachfrage betont: „Bei solchen Verhältnissen gibt es in dem Bereich keine Alternative zum Hubschrauber.“

Die Operation musste postwendend stattfinden, ein Spezialist nahm sich das rechte Schienbein vor. Und als der Kopf von der Vollnarkose erholt war, wollte Neuer, dass es schnell geht. Die Bayern waren informiert, der Rest der Republik sollte unterrichtet werden, ehe die Medien es herausfinden. Das gelang. Am Samstagmittag meldete sich Neuer selbst aus dem Krankenbett – und schrieb: „Hey Leute, was soll ich sagen, das Jahresende hätte auf jeden Fall besser laufen können.“ Relativ gut zusammengefasst.

Der Plan war eigentlich so simpel gewesen. Denn Neuer, den das frühe WM-Aus nach wie vor schmerzt, wollte in der Natur „den Kopf frei bekommen“. Abseits der Piste den Berg hinaufstapfen, hat etwas Beruhigendes, der Körper arbeitet, während der Geist Ruhe hat. Aber die boomende Sportart – vor allem der Weg hinunter – ist eben auch risikobehaftet. Zumal auch am Spitzing noch relativ wenig Naturschnee liegt – die Messstation des Lawinenwarndienstes zeigte am Spitzingsee am Freitag gerade einmal elf Zentimeter an. Auch die zwar mittlerweile beschneiten, aber eben noch nicht präparierten und daher „bockharten“ Pisten sind noch gesperrt.

Über die Konsequenzen des Sturz müssen sich alle Beteiligten nun ihre Gedanken machen. Das Wort „Karriereende“ steht dabei auf dem Index, so viel wurde in jedem Telefonat klar. Neuer, dessen Reha-Plan ausgearbeitet wird, ehe er sich im Krankenhaus erholt, denkt keineswegs daran, die Torwarthandschuhe an den Nagel zu hängen. Er wird zwar in der Rückrunde zusehen müssen, in der neuen Saison aber „gnadenlos angreifen“, sagt man. Auf dem Weg zurück ist ihm die Unterstützung von Verein und DFB gewiss.

Zwar gaben sich auch die Bayern geschockt – immerhin ist Neuer nach Sadio Mané und Lucas Hernandez der ritte langzeitverletzte Star. Oliver Kahn aber versicherte: „Wir werden ihm zur Seite stehen.“ Daran, dass Neuer „so stark wie zuvor auf den Platz zurückkehren“ wird, hat der Vorstandsvorsitzende genauso wenig Zweifel wie Hasan Salihamidzic, der betonte: „Manuel wird jede Unterstützung erhalten. Er kann sich auf den FC Bayern verlassen.“ Das gilt auf für den DFB, wo Flick keinen Gedanken daran verschwendet, auf dem Weg zur EM 2024 an seiner Nummer eins zu rütteln. Neuers 117-Länderspiel soll nicht das letzte gewesen sein.

Dass dennoch Gedankenspiele in alle Richtungen erlaubt sein müssen, ist auch Neuer klar. Alle möglichen Lösungen – inklusive einer Rückkehr von Alexander Nübel (siehe Text unten) – sieht er aber als temporär an. Obwohl seine Leistungen zuletzt kritisiert wurden, ist er sich sicher, dass er diese Verletzung genauso gut wegstecken wird wie alle anderen zuvor. Auch nach seinen Mittelfußbrüchen 2017/2018 sprach man hinter vorgehaltener Hand immer wieder vom Karriereende. Es kam bekanntlich anders. Dass Neuers Daumen auf dem Bild aus dem Murnauer Krankenbett nach oben zeigt, ist nicht gestellt. Da glaubt einer an sich.

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