Lionel Messis Finale

Die größere Geschichte

von Redaktion

GÜNTER KLEIN

Um ermessen zu können, wie groß uns Lionel Messi derzeit erscheint, sollten wir eine Zeitreise antreten. Vor ziemlich genau einem Jahr: Was haben wir da über ihn gedacht? Messi stand bei der Weltfußballer-Proklamation in der Endauswahl neben Robert Lewandowski, und vor allem die Fans des FC Bayern empörten sich: Wie kann man einen gealterten Star, der sich zu fein ist, wie die anderen in seiner Mannschaft zu laufen, noch auf eine Stufe stellen mit der Leistungsmaschine aus München, dem unvergleichlichen Torproduzenten, der Rekorde brach, die unerreichbar schienen? Man begründete es sich damals so: Alles Marketing, Berühmtheit schlägt Fakten, wer noch auf Messi setzt, hat schlicht keine Ahnung. Und heute: Gehört der Name Lewandowski nicht in einen Atemzug, in dem Messi wertgeschätzt wird. Das sieht wohl auch die Bayern-Community so – und zwar nicht nur wegen der Entfremdung, die durch den von Lewandowski erzwungenen Vereinswechsel eingetreten ist.

Grundfalsch war die Wahrnehmung Ende 2021 allerdings nicht. In sie ein flossen auch Eindrücke etwa aus 2020, als Lionel Messi in der Champions League noch mit dem FC Barcelona den Bayern 2:8 unterlag. Man sah ihn nicht in diesem Spiel, genauso wenig in manch anderen Begegnungen mit den Münchnern. Das Genie konnte sich nicht mehr entfalten, weil der Körper schwächer wurde, ein normaler Prozess nach eineinhalb Jahrzehnten im Spitzenprofifußball. Als es mit Messi und Barca auseinanderging, dachte man: Gut für den Club, denn er muss sich von der Überfigur lösen, wenn sie ihm nicht mehr entscheidend hilft und vor allem die Kasse belastet. Dass Paris Saint-Germain zugriff, wurde als PR-Stunt interpretiert. Messis bisherige Zeit in Frankreich bestätigt das auch.

Lionel Messis Geschichte ist weiterhin die eines Mannes, der den Gesetzen der Natur folgend seine Kräfte schwinden sieht. Doch er hat in den vergangenen Wochen eine Geschichte geschrieben, die die andere überlagert, weil sie größer ist: die einer letzten großen Anstrengung für sein Land, für die Fans, für Mitspieler, denen er sich auf besondere Art verbunden fühlt, für einen Trainer, mit dem er befreundet ist. Er tut das auch für sich, für die Vollendung seines Lebenswerks, doch stellt sich nicht mit Gehabe, sondern mit seinem Beitrag für die Mannschaft in deren Mittelpunkt.

Er ist vermutlich nicht der angenehmste Mensch, er hält nicht viel von Steuergerechtigkeit, er kann sich unsportlich und provokativ verhalten wie gegen die Niederländer. Doch er ist vor allem Fußballer und hat das Recht, als Spieler gesehen und bewertet zu werden. Darum mag man ihm die Sympathie nicht verwehren. Möge er endlich seinen WM-Titel bekommen! Weltfußballer muss er ohnehin sein. Weit vor allen anderen.

Guenter.Klein@ovb.net

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