München – Die Hüfte wird gerade etwas blau, berichtet Andrea Filser. Schlimmere Folgen hatte der Sturz am Samstag im Riesenslalom zum Glück nicht. „Es sind ein paar Prellungen, deswegen kuriere ich mich gerade zu Hause“, erzählt sie im Gespräch mit unserer Zeitung. Nach dem Riesenslalom stand im italienischen Sestriere noch ein Weltcup-Slalom auf dem Programm, dort wurde sie 15. und knackte damit die Norm für die WM 2023 in Courchevel und Meribel. Das Ski-Ass vom SV Wildsteig dürfte also einiges an guter Laune mitgenommen haben in die kleine Zwangspause.
Allerdings hätten Filser die freien Tage im Advent bestimmt auch ohne das starke Ergebnis nicht aus der Bahn geworfen. Denn die 29-Jährige hat auch schon ganz andere Zeiten erlebt. In dieser Saison nicht – da hat sie bei allen ihren vier Slalomstarts Punkte gesammelt. Aber es ist das erste Mal, dass der Sportsoldatin so eine Serie gelingt. Die Saisons seit ihrem Debüt im Weltcup 2012 waren stattdessen durch schwere Verletzungen geprägt.
2013 zog sich die gebürtige Schongauerin einen Bruch des Unterschenkels zu, 2016 riss ihr Kreuzband und im Dezember 2021 ihr Syndesmoseband – das Saison-Aus. All das sind Einschnitte, die schon allein das Ende einer Sportlerkarriere bedeuten können. Weitergemacht hat sie trotzdem stets. „Den Glauben daran, dass es geht, den hatte ich immer. Außerdem macht mir das Skirennfahren nach wie vor so viel Spaß“, sagt sie. Doch trotz allen Glaubens und Spaßes: einfach war es nicht, wie Filser ausführt: „Mein Umfeld hat mir immer sehr geholfen, aber es gab schon Zeiten, da waren es nicht mehr viele um mich rum.“ Unterstützt hätten sie damals Freunde und Familie, die immer wie sie „daran geglaubt“ hätten und Trainer, „die sich weiter Zeit für mich genommen haben.“
Ihren Status als Kaderathletin hatte sie zwischenzeitlich verloren, auf die Saisons 15/16 und 19/20 bereitete sie sich eigenverantwortlich vor und präparierte bis in die vorletzte Saison hinein ihre Skier selbst. Letzten Winter dann die erneute schwere Verletzung. Auf ihre aktuellen Leistungen hätten „danach bestimmt nur ganz wenige gewettet“, meint sie lachend. Im Training im Sommer sei es noch ein „auf und ab“ gewesen, erinnert sich Filser. Vor allem ab der letzten Phase der Vorbereitung in Levi sei es dann aber von Tag zu Tag besser geworden. „Auf einmal habe ich gemerkt, dass ich mithalten kann. Die Lena (Dürr) ist mit ihrem Niveau ein guter Gradmesser und an sie bin ich immer näher rangekommen.“
Warum es so gut läuft? „Dass wir so sein super Team haben, spielt mir wirklich in die Karten. Wir haben so eine positive Grundstimmung und bei jedem geht es irgendwie weiter. Das hilft und motiviert einfach.“ Gute Stimmung im Team – damit verbindet Filser wohl auch eine ihrer schönsten Ski-Erinnerung: die Bronze-Medaille im Mannschaftswettbewerb 2021 bei der WM in Cortina D’Ampezzo gemeinsam mit Emma Aicher, Stefan Luitz und Alexander Schmid. Als „unvergesslich“ bezeichnet sie diesen Erfolg.
Ein Moment, wie man ihn sich als junges Skitalent ausmalt, von dem man träumt, während man so hart für die Karriere arbeitet. Dass für Filser die meisten Jahre sportlich anders liefen, als sie es sich einst vielleicht vorstellte, hat sie reifen lassen. „Ich glaube, ich bin mittlerweile ein bisschen gelassener. Wenn mal irgendwas nicht so klappt, kann ich das besser einordnen.“ Gelassener – nicht zutreffen dürfte das aber auf ihre Ambitionen. „Die Ziele, die ich früher hatte, sind geblieben“, gibt Filser vor und führt aus: „So wie jetzt will ich weitermachen. Mich einfach von Rennen zu Rennen näher an die Spitze herankämpfen.“
Im Slalom und Riesenslalom sind an der Spitze Ausnahmeerscheinungen wie die US-Amerikanerin Mikaela Shiffrin oder die Slowakin Petra Vlovha. Ihnen näherzukommen ist wohl eines der ehrgeizigsten Ziele, die man sich setzen kann. Darauf, dass das jemand schafft, würden wahrscheinlich nur wenige wetten. Aber das ist etwas, was Filser so wenig beeindrucken dürfte, wie ein paar blaue Flecken und Prellungen an der Hüfte.
THOMAS JENSEN