Noch ein Schritt bis in den Olymp

von Redaktion

Argentinien selbstbewusst vor Finale – für Messi wird es das letzte WM-Spiel

VON GÜNTER KLEIN

Lusail – Was wohl der meistgespielte Videoclip der Fußball-WM 2022 sein wird? Lange galt der selbst aufgelegte Fallrückzieher des Brasilianers Richarlison als Favorit, aber die Selecao ist aus dem Turnier und gar kein Thema mehr, und die Erinnerung an eine Aktion, die vor drei Wochen war, verblasst allmählich. Und jetzt gibt es halt auch eine neue Szene, an der die Welt sich nicht wird sattsehen können. Neben dem offiziellen Fernsehbild kursieren Handy-Aufnahmen aus dem Fanblock im Internet: Weit unten im Lusail Stadium, fast auf Spielfeldhöhe verfolgt die Smartphone-Kamera, wie Lionel Messi auf der rechten Angriffsseite den Ball annimmt, wie er beschleunigt, abbremst, die Richtung ändert, den kroatischen Verteidiger vorführt, erneut an ihm vorbeirauscht und schließlich den Pass zu Julian Alvarez spielt, zum 3:0, das das erste Halbfinale der Weltmeisterschaft für Argentinien entschied.

Die Jury, die den „Man of the Match“ bestimmt, hätte sich an diesem Abend auch für Julian Alvarez entscheiden können, der den Elfmeter herausholte, den Messi zum 1:0 verwandelte und der mit dem 2:0 selbst ein spektakuläres Solo bot – doch natürlich entschied sie sich für Messi. Weil er halt die größte Figur des Fußballs und der individuelle Preis versponsert ist (durch einen US-Brauer), aber auch, weil keiner sich der glücklichen Aura des 35-Jährigen entziehen kann. Er war immer ein großer Vereinsspieler, aber ein verzweifelnder Mann in der argentinischen Nationalmannschaft. Seit 2021 hat sich das gewendet: Bei Paris Saint-Germain, seinem Club nach dem FC Barcelona, wirkt er wie eine Verpflichtung, die man tätigen musste, als sich die Chance ergab, mit ihr Aufmerksamkeit zu schaffen – doch sein Leben und Lieben spielt sich nun in der Albiceleste ab. Der Gewinn der Kontinentalmeisterschaft Copa America im Sommer 2021 war die erste Befreiung von der Last, im Nationaltrikot nichts gewonnen zu haben, was bleibt. Die Weltmeisterschaft ist das letzte Stück, das noch fehlt.

Nie hat man Messi so ergriffen von einer Situation gesehen wie am Dienstagabend, der zum Mittwochmorgen wurde, vor dem argentinischen Fanblock in Lusail. Dass er der Senior im Team ist, war ihm anzusehen, er hatte das gütige Staunen des Papas, der sich am Treiben der Kinder um ihn herum erfreut. Er lässt sich mitreißen von der ungetrübten Freude eben eines Julian Alvarez, der auch gerade seine Tage im Wunderland erlebt. Der 22-Jährige ist nicht das Superhypermegatalent, Manchester City hat ihn für überschaubare 32 Millionen Euro als Ersatz-Haaland gekauft. Dem Norweger kann Alvarez mit zwölf Einsätzen und drei Toren in der Premier League nicht das Wasser reichen, doch im Nationalteam wächst er von Spiel zu Spiel, steht bei vier Toren. Nur Messi hat mehr (fünf).

Messi ist, obwohl er manchmal an seinem Oberschenkel herumnestelt, fit. „Ich fühle mich stark genug, um in jedes Match zu gehen“, sagte er nach dem 3:0 gegen Kroatien. „Wir sind nie verloren, wir wissen in jedem Spiel, was zu tun ist, wir haben eine intelligente, weise Mannschaft, die das Spiel lesen kann.“ Sie habe den „Stresstest“, ausgelöst durch die 1:2-Auftaktniederlage gegen Saudi-Arabien, bestanden: „Seitdem hatten wir fünf Finalspiele und haben alle gewonnen.“ Das sechste folgt – und Argentinien glaubt, dafür noch was in petto zu haben. Trainer Lionel Scaloni nüchtern zum 3:0: „Wir haben schon auf höherem Level gespielt.“ So oder so, Messi wird das letzte Mal auf der WM-Bühne zaubern. „Ich bin sehr glücklich, meine Reisen zu WM-Turnieren mit meinem letzten Spiel in einem Finale zu beenden.“

Artikel 1 von 11