Zu Bayerns Torwartsuche

Niemand ist unantastbar

von Redaktion

HANNA RAIF

Dieser eine Patzer wird Sven Ulreich nun, bald fünf Jahre später, zum Verhängnis. Im Halbfinal-Rückspiel der Champions League sah Manuel Neuer 2018 dabei zu, wie sein Stellvertreter beim zwischenzeitlichen 2:1 von Real Madrid in der Tat nicht ganz glücklich aussah. Die Bayern schieden aus, das Finale fand ohne sie statt – und Ulreichs Malheur blieb gleich doppelt im Kopf. Als Sinnbild des Scheiterns in der Saison 2017/18, als schlechtes Königsklassen-Zeugnis für Ulreich weit darüber hinaus.

Man könnte es Ulreich nicht übel nehmen, wenn er jetzt, wo die Torwart-Diskussion des FC Bayern seit zwei Wochen immer höher kocht, Unmut kundtun würde. Wenn er enttäuscht wäre, dass der Verein, bei dem er immer – außer dieses eine Mal – zur Stelle war, wenn er gebraucht wurde, nicht auf ihn setzt. Wenn er sich mit all den Kandidaten vergleichen würde, die zur Debatte stehen. Aber Ulreich lässt all das bleiben, weil er eben Ulreich ist. Ein loyaler, freundlicher, bodenständiger Profi, der seine Rolle einzuschätzen weiß. Beim FC Bayern ist er Ersatz-Keeper – nicht mehr und nicht weniger.

Das Sagen hatte nie Ulreich, sondern stets andere. Bisher Manuel Neuer, und nun, nachdem der Nationalkeeper sich bei einem unglücklichen Sturz abseits der Skipiste selbst für ein halbes Jahr außer Gefecht genommen hat, die Herren in den höheren Etagen. Auch wenn Neuer, 36 Jahre, fest daran glaubt, nach auskuriertem Unterschenkelbruch wieder zu alter Stärke zu finden, ist es gut, vernünftig und vollkommen richtig, den Platz im Bayern-Tor nicht nur warmzuhalten, sondern nach einer langfristig guten Lösung zu suchen. Oder anders gesagt: Sich frei zu machen von der Ansicht, dass es unantastbare Profis im Kader gibt, die spielen, weil sie immer spielen.

Ohne Zweifel: Manuel Neuer war und ist wahrscheinlich einer der besten Torhüter der Welt (auch wenn ihndie neue „Kicker“-Rangliste nur als siebbesten der Liga führt). Trotzdem haben die Bayern mit der Posse um Alexander Nübel einen ähnlichen Fehler wie so lange im Sturmzentrum gemacht. Weil Stars wie Robert Lewandowski oder eben Neuer Konkurrenz nicht akzeptieren, durften in ihrem Schatten keine potenziellen Nachfolger heranwachsen. Die Quittung gab es in dieser Saison: Nübel flüchtete und fehlt jetzt – und dem Spiel von Julian Nagelsmann mangelte es an einem echten Neuner.

Man muss also leider gegen Ulreich argumentieren. Die Bayern brauchen einen neuen Mann, der nicht freiwillig zurücksteckt, wenn Neuer wieder da ist. Einen, der bei jedem Patzer des Welttorhüters – denn auch diese gibt es – seine Chance wittert. Das Leistungsprinzip gilt auch hier: Am Ende setzt sich eh der Beste durch.

Hanna.Raif@ovb.net

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