Die Jagd nach dem Kindheitstraum

von Redaktion

Nach Holperstart gilt für Karl Geiger bei der Tournee: „Alles kann, nichts muss“

VON PATRICK REICHELT

Oberstdorf – Kurz vor dem Start hätte sich Karl Geiger fast noch ein bisschen in Bedrängnis gebracht. In letzter Minute packte Deutschlands bester Skispringer seine Tasche. So gesehen war sicherlich gut, dass der Anfahrtsweg des Oberstdorf zum Teamhotel in Tiefenbach vor den Toren seiner Heimatgemeinde überschaubar war. „Ungefähr eine Viertelstunde“, feixte der 29-Jährige, „aber die habe ich in vollen Zügen genossen.“

Geiger wirkt gelöst, er ruht in sich, vor dem Start in das erste Highlight dieses Winters. Die Topfavoriten sind andere. Allen voran der Pole Dawid Kubacki. Oder auch Anze Lanisek (Slowenien), Stefan Kraft (Österreich) und Halvor Granerud (Norwegen). Für ihn selbst gelte eher das „alles kann, nichts muss“, wie er sagte. Weil Geiger nach einem schleppenden Saisonstart nicht einmal selbst so genau weiß, wo er in diesen Tagen denn steht.

Bei der Generalprobe in Engelberg stürzte er. Was auch Töchterchen Luisa am Fernsehschirm aufschreckte („Hoppla, Papa umfallt“). An den beiden folgenden Tagen übte Karl Geiger noch einmal mit dem deutschen Team in Oberstdorf. Und Bundestrainer Stefan Horngacher fand es ziemlich viel versprechend. „Das hat dem Karl gut getan“, sagte er, „er hat noch einmal einen großen Schritt nach vorne gemacht.“

Wobei ja das Kuriose ist, dass Geiger seine Heimatanlage gar nicht allzu sehr schätzt. Vor allem im Übergang zwischen Anlauf und Schanzentisch tut er sich bisweilen schwer, den Schwerpunkt zu halten. Doch er weiß: „Wenn ich dort gut bin, dann bin ich wirklich gut in Form und auch auf anderen Schanzen gut.“

Die Qualifikation vor der Quali-Weltrekordkulisse von 16000 Zuschauern, war ganz vielversprechend. 129,5 Meter bugsierten ihn beim Sieg von Halvor Egner Granerud (133,5) auf Platz sieben. Im Wettkampf trifft er nun ausgerechnet auf den kränkelnden Österreicher Stefan Kraft, doch er nimmt es locker: „Keiner zaubert, ich bin auf einem guten Weg.“

Einmal auf der viel beschworenen Wolke durch die Tournee zu schweben, das ist so etwas wie das letzte große Ziel für seine Karriere. „Einmal die Vierschanzentournee zu gewinnen, das ist schon so ein Kindheitstraum von mir“, sagte Geiger. Er träumt ihn, seit er einst als Fahnenkind seines SC Oberstdorf bei den Großveranstaltungen zu den Profis aufschaute. Auch wenn ihn die Macher der Nordischen WM 2005 nicht unbedingt seine Lieblingsnation bescherten: „Ich habe beim Einmarsch die Tafel von Kasachstan getragen.“

Den Traum hat das nicht kleiner gemacht. Zweimal ist Geiger ihm ziemlich nahe gekommen. 2019/20 wurde er Dritter, ein Jahr später siegte er in Oberstdorf und musste am Ende nur dem Kamil Stoch den Vortritt lassen. Fehlt nur noch die höchste Stufe des Siegerpodests in Bischofshofen. „Und den Traum werde ich nicht aufgeben, solange ich diesen Sport mache“, betonte er. Was durchaus noch ein Weilchen sein könnte. Zumindest Olympia 2026 in Italien peilt Geiger noch an. „Vorausgesetzt ich bin gesund und mir macht der Sport so viel Spaß, wie er mir jetzt macht.“

Und ganz nebenbei würde Geiger natürlich gerne den kleinen Makel beseitigen, der seinen größten Erfolgen in seinem Heimatstadion unter dem Schattenberg anhaftet. Sowohl den Sieg beim Tourneespringen 2020/21 als auch die WM-Titel wenig später an gleicher Stelle flog er ohne Fans ein. Das wäre nun anders, 25 000 Fans werden Geiger und Kollegen am Donnerstag zum nächsten Erfolgserlebnis tragen wollen.

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