Heute top, morgen ein Flop

von Redaktion

Kopf, Speed, Athletik – warum Springer unter Formschwankungen leiden

Oberstdorf – Dawid Kubacki weiß selbst am besten, dass seine Disziplin eine launische ist. Einen ganzen Winter lang ist der Pole zuletzt der Weltspitze vornehmlich hinterhergesprungen – im Gesamtweltcup fand er sich am Ende im Niemandsland von Platz 27. Und nun? Vor dem Start der Vierschanzentournee ist Kubacki das Maß der Dinge. „Er“, sagte auch Bundestrainer Stefan Horngacher, „ist der Mann, den es zu schlagen gilt.“ Martin Schmitt indes, der heutige Eurosport-Experte, findet den Aufschwung des blonden Polen nicht weiter verwunderlich. „Er hat mit Thomas Thurnbichler einen neuen Trainer, hat ein paar Dinge verändert und neuen Schwung bekommen“, sagte er.

Kleine Veränderungen – es ist eine Weisheit, die sich durch die Geschichte des Skispringens zieht – können manchmal große Wirkung haben. Es ist eine Gesetzmäßigkeit für sich, dass es für die Kräfteverhältnisse der Skispringer keine Gesetzmäßigkeiten gibt. Wer heute ganz oben steht, der kann morgen schon wieder ganz unten sein – und umgekehrt.

Aber warum ist das so? „Die Weltspitze liegt im Skispringen einfach unheimlich nahe zusammen“, findet Horngacher. Aber die Gründe liegen natürlich tiefer. „Das liegt in der Natur der Disziplin“, sagte Toni Innauer. Der ZDF-Experte zeigt zum Vergleich auf Weitspringerin Malaika Mihambo. „Auch sie trifft den Absprungbalken nicht immer“, erklärte er, „und sie kommt mit einem Bruchteil der Geschwindigkeiten, die Skispringer haben.“ Kubacki, Karl Geiger & Co. rasen bei der Tournee mit Geschwindigkeiten um die 90 km/h auf den Schanzentisch, wo Sekundenbruchteile über Erfolg und Misserfolg entscheiden.

Versagen verboten, jeder Wettbewerb sieht nur zwei Versuche pro Springer vor – beide gehen in die Wertung ein. „Wenn Frau Mihambo nur zwei statt sechs Versuche hätte“, sagte Innauer, „dann hätte sie wahrscheinlich auch den ein oder anderen Erfolg weniger.“ Bei der Tournee wird das Problem sozusagen vervierfacht. Wer den Tourneeadler will, der muss acht Mal in Folge Präzisionsarbeit ohne Aussetzer leisten.

Ein starker Saisonstart muss da kein Vorteil sein, wie auch Innauer als Österreichs Coach einmal schmerzhaft erfahren musste. „Ich bin einmal mit den Top-3 des Weltcups nach Oberstdorf gefahren“, erinnert er sich, „und wir haben die Tournee nicht gewonnen.“

Man ahnt: Es ist eine Sache, bei der viel im Kopf entschieden wird. Tourneesieger wird auch der Springer, der die Begleiterscheinungen des Turniers mit Reisen oder Medienrummel am besten ausblenden kann. Sven Hannwald, 2001/02 letzter deutscher Gesamtsieger, wurde bei seinem Vierfachcoup vor allem mit einem Satz bekannt: „Ich mach’ mein Zeug.“ „Für die Deutschen und die Österreicher ist das natürlich etwas schwieriger“, sagte Toni Innauer, „weil auf sie zu Hause natürlich entsprechend mehr einströmt.“

Doch manchmal liegt das Problem auch ganz einfach im Springer selbst. Veränderungen am Material, Verletzungen oder ganz einfach Lebensumstände können das filigrane Sprungsystem empfindlich stören.

Auch die Allerbesten sind davor nicht gefeit. Gregor Schlierenzauer lässt grüßen. Österreichs Wunderkind hatte mit 24 schon die Rekordmarke von 53 Weltcupsiegen auf dem Konto. Dann ging nichts mehr. Materialveränderung, Reibereien im Team und gesundheitliche Schwierigkeiten taten ihr Übriges. Innauer machte das Hauptproblem im Kopf des Ex-Schützlings aus: „Bei ihm hat irgendwann der unbedingte Wille gefehlt“, befand er, „ich hätte ihm ein, zwei Jahre Pause empfohlen“. Doch Schlierenzauer blieb und verlor. Am Ende wagte er einen, eher halbherzigen Versuch mit Ex-Bundestrainer Werner Schuster als Privattrainer. 2021 trat er endgültig zurück. PATRICK REICHELT

Artikel 1 von 11