München – Die Hoffnungen im deutschen Biathlon ruhen zu großen Teilen auf Denise Herrmann-Wick. Die Einzelolympiasiegerin von Peking erlebt einen ihrer stärksten Winter. In 13 Rennen landete sie nur zweimal außerhalb der Top Ten. Als Anführerin im Team sieht sich die 34-jährige Sächsin, die in Ruhpolding lebt, dennoch nicht, wie sie unserer Zeitung vor dem Weltcup in ihrer Wahlheimat erzählt.
Frau Herrmann-Wick, Heimweltcup: Für Sie inzwischen Routine oder immer noch speziell?
(lacht) Wegen Corona bin ich in Ruhpolding ja noch gar nicht so oft vor Zuschauern gelaufen. Aber jetzt bin ich heiß darauf, wie es wahrscheinlich auch viele andere sind. Es wird Zeit, dass Ruhpolding wieder so wird, wie man es kennt.
Wenn Sie an Ihre Leistungen anknüpfen, können Sie zur guten Stimmung beitragen – sind Sie bisher zufrieden diese Saison?
Ja, größtenteils schon. Klar ist Biathlon eine Sportart, in der man nur ganz, ganz selten zufrieden ist, außer man hat die schnellste Schieß-Zeit, null Fehler und die schnellste Laufzeit. Aber das gibt es eigentlich nie und stattdessen immer Kleinigkeiten, an denen man dranbleiben muss.
Welche Kleinigkeiten beschäftigen Sie aktuell?
Bei mir ist es die stressige Situation, wenn Frau gegen Frau schießt. Da konnte ich noch nicht ganz bei mir bleiben und meine Sachen so ruhig machen wie in den Einzeln oder Sprints.
In solchen Situationen besser werden – reine Erfahrungssache?
Es ist natürlich ein bisschen Routine. Aber es ist auch Typsache und für mich zum Beispiel von Jahr zu Jahr anders. Letztes Jahr bin ich in Rennen, in denen man für sich läuft, zu sehr zum Nachdenken gekommen. Dieses Jahr bin ich dagegen ganz entspannt, wenn ich alleine laufe und nicht so viele um mich rum sind. Da wiederum muss ich mich dann zwingen, mein Rennen für mich zu laufen, was bei Massenstarts oder Staffeln mit dem taktischen Geplänkel immer etwas schwierig ist.
Hilft Ihnen das Erreichte – insbesondere Ihr OlympiaGold – ruhiger und daher so konstant zu sein?
Vielleicht lässt es einen tatsächlich entspannter sein. Aber nicht in dem Moment, wenn man als Sportler an der Startlinie steht. Dann denkt man nicht daran, sondern nur ans Jetzt und was kommt. Letztes Jahr habe ich vor Olympia den Umschwung ganz gut geschafft, von ein bisschen Krampf, als es nicht so gut lief, hin zu mehr Gelassenheit. Ich habe es mehr laufen lassen. Das hat sich bei mir eingebrannt. Diesen Zustand wieder zu erreichen, das war auch mein Ziel vor der Saison, ganz unabhängig vom Formaufbau im Laufen und wie es im Schießen geht, sondern als Grundmodus. Das war für mich das wichtigste.
Auch wenn Sie es bisher in dieser Saison kaum brauchten – ist es dann auch leichter, schlechtere Rennen zu verarbeiten?
Natürlich will man jeden Tag das Maximale rausholen. Aber nach so vielen Jahren Biathlon erkennt man, dass es ein Wunschgedanke ist, dass es jeden Tag wieder geht. Es gibt eben die Tage, an denen mal ein, zwei Scheiben nicht fallen und dann analysiert man sehr gründlich, was da schiefgelaufen ist und hält sich sehr lange damit auf – viel länger als mit einem Treffer. Natürlich ist das als Leistungssportler normal, aber man darf sich auch nicht immer wieder selbst so krass runterziehen. Sondern muss sich mal erlauben, zufrieden zu sein. Sonst macht das Ganze nicht so viel Spaß. Aber die Freude am Sport ist wichtig, um jeden Tag leistungsfähig zu sein.
Ist diese Einstellung schwieriger zu halten, wenn eine Heim-WM näherkommt?
Natürlich merkt man, dass sie näherkommt. Trotzdem kann noch so viel passieren in den Wochen zuvor. Für mich ist die oberste Prämisse, gesund zu bleiben und die Lockerheit zu behalten. Dann denke ich, dass die Zeichen gut stehen, da in guter Form an den Start zu gehen.
Was ist Ihnen wichtiger? WM-Medaillen oder Kristallkugeln?
Ich messe mich nicht an Medaillen. Klar möchte ich in Topform sein und wir als Team möchten das genießen. Eine Heim-WM zu erleben, ist nicht selbstverständlich. Wenn man dann richtig gut drauf ist, die Stimmung aufsaugt und über sich hinauswachsen kann, das wäre meine Traumvorstellung für Oberhof.
Über sich hinauswachsen, um Titel zu holen…
Nicht gemessen an Platzierungen, sondern einfach um noch mal ein Prozent schneller zu sein und eine Scheibe mehr zu treffe. Und zwar im ganzen Team. So positiv, wie die EM in München abgelaufen ist, bei den Leichtathleten zum Beispiel, dass es einfach knistert und eine coole Veranstaltung wird, so wünscht man sich das. Wenn man dann gut drauf ist, kann man eh vorne mitlaufen. Und mit der Stimmung Biathlon-Deutschland dann hoffentlich ein bisschen abfackeln.
Sie sprechen das Team an. Wie groß ist für Sie das Thema Ihrer Führungsrolle in der Mannschaft?
Erst mal ist es so, dass ich die Mädels schon lange kenne. Ich habe ja gesehen, dass sie das Potenzial haben. Das im Weltcup konstant zu bringen, ist die Masteraufgabe. Außerdem sind viele gar nicht mehr so jung, sondern in einem Alter, in dem man jetzt diese Entwicklung von ihnen erwarten kann. Da braucht uns, glaube ich, nicht bange werden für die nächsten Jahre. Ich hoffe, dass möglichst viele in Oberhof dabei sind, weil so eine Erfahrung für die weitere Entwicklung wichtig sein kann.
Und wie wichtig sind Sie als Stütze in dieser Entwicklung?
Ach, man profitiert ja gegenseitig voneinander. Ich bin ja nicht die Leitkuh, die jetzt irgendwelche Ansagen raushaut. Klar schaut die eine oder andere vielleicht mal, wie ich bestimmte Dinge angehe. Aber im Schießen zum Beispiel ist es umgekehrt. Da sind wir auf Augenhöhe beziehungsweise habe ich sogar ein paar Jahre weniger Erfahrung. Dann solche Schnellschützinnen im Team zu haben, das hat mir schon etwas gebracht. Jeder hat seine Schwächen und Stärken – und wenn er die mal vor den Karren spannt, kann die ganze Gruppe profitieren.
Interview: Thomas Jensen