Ruhpolding – Johannes Thingnes Bö redet ganz ruhig. Angsteinflößend dürften seine Worte auf die Konkurrenz ohnehin wirken. Da er sie aber so beiläufig vorträgt, als ginge es um etwas Langweiliges, könnten sich einige Konkurrenten noch mehr Sorgen machen. „Ich habe mich in der letzten Runde genauso frisch gefühlt wie in der ersten Runde“, sagt der Norweger über seinen Sieg im Einzel von Ruhpolding auf die Frage, ob er aktuell besser sei als je zuvor. „Ich habe das in einem Einzel noch nie gefühlt.“
Nach der 20-Kilometer-Strecke – der längsten im Weltcup – ist das kollektive Ächzen der Sportler so laut zu vernehmen wie die Jubelschreie der Fans bei Schießtreffern. Bö stöhnt nicht. Ja, er ist stärker denn je, auch wenn er das nicht so sagen will: „Vielleicht beginnt es gerade so auszusehen, als ob.“ Zwölf Rennen bestritt er in dieser Saison (inklusive Staffeln), nur einmal landete er nicht auf dem Podest, zwei weitere Male wurde er nicht Erster.
Ausnahmeläufer Bö ist dem Rest der Elite diese Saison noch weiter enteilt. Ein Grund dafür, der dem 29-Jährigen einfällt, ist sein vorzeitiges Saisonende 2022. Nachdem er bei Olympia in Peking abgeräumt hatte, ließ er die letzten Weltcups aus. Und das kommt ihm in diesem Winter offenbar zugute. „Ich war sehr bereit nach dieser langen Pause“, sagt Bö.
Bereit für eine Saison, in der das Siegen für ihn fast selbstverständlich geworden ist. Auch wenn er selbst meint: „Gewohnheit, das ist dumm, so zu sagen.“ Doch anschließend erläutert er, was die Triumphe in Serie für eine Wirkung haben: „Man hat nicht mehr so die großen Emotionen wie zuvor, wenn man lange auf einen Sieg wartet.“ Er meine das aber nicht negativ, da es so einfacher sei, gleich wieder vorauszuschauen und sich aufs nächste Rennen zu konzentrieren. Noch ein Vorteil, den er lachend ergänzt: „Ich muss nicht mehr so viele Nachrichten auf dem Handy beantworten wie früher.“
Ein Effekt, der wohl auf das gesamte norwegische Team zutreffen dürfte. Denn auch wenn für die anderen Schützlinge des französischen Trainers Siegfried Mazet das Siegen nicht zur Gewohnheit wird – die Platzierungen auf dem Stockerl werden es schon: 23 der 33 möglichen Podestplätze außerhalb der Staffeln holten die Norweger. Fünf von ihnen liegen im Gesamtweltcup unter den besten Sieben: Bö, Sturla Holm Lagreid, Vetle Sjaastad Christiansen, Johannes Dale und Bös älterer Bruder Tarjei.
„Wir können es selbst nicht glauben“, sagt Christiansen, der im Einzel Zweiter wurde. Der 30-Jährige stellt ähnliche Vermutungen an wie Bö. „Sobald wir im Hotel sind, ist der Wettkampf vergessen und wir schauen auf den nächsten“, sagt er. Und führt weiter aus: „Wir sehen uns selbst als bescheidene Typen – und die Siege nicht als garantiert.“ Lachend erlaubt er sich dann noch einen Vergleich – zu den Urahnen der Norweger: „Wir sind keine Wikinger mehr. Wir feiern unsere Siege nicht so sehr.“
Eines ist ihm noch ganz wichtig zu betonen: „Wir gönnen uns gegenseitig, dass wir erfolgreich sind. Wir sind gute Wettkämpfer und Freunde.“ Einen Plan, Bö zu schlagen, habe er natürlich trotz des Teamgeistes. Nur ginge dieser Plan eben seit zehn Jahren nicht auf, bemerkt Christiansen. Bei einem sei er sich sicher, was die Chancen angeht, einmal vor Bö zu landen: „Dazu muss er danebenschießen.“
Ähnlich klingt das übrigens aus dem deutschen Lager. Der beste DSV-Skijäger Benedikt Doll gibt sich zwar kämpferisch: „Wir werden unser Bestes geben, ihn einmal runterzuhauen.“ Im nächsten Satz sagte er aber: „Vielleicht gibt er uns einmal die Chance.“ THOMAS JENSEN