„Bergsteigen ist Kunst“

von Redaktion

Kletterer Thomas Huber im Interview über Erfolge ohne Gipfel und den Klimawandel

München – Ein bisschen verspätet meldet sich Thomas Huber zum Video-Telefonat mit unserer Zeitung. Verständlich, denn der 56-jährige Extremkletterer und Bergsteiger war an diesem Januarmorgen schon früh unterwegs. Allerdings nicht in den Berchtesgadener Alpen vor seiner Haustür, wie er gleich verrät. Ein Interview über das Klima, Frieden, das Alter, Ziele, die er mit Bruder Alexander (54) aktuell verfolgt, und eine Tour mit Ex-Biathletin Laura Dahlmeier. Der Film dazu wird am 20. Januar (19.30 Uhr) bei der Preisverleihung des Bayerischen Outdoor Filmpreises im Waitzinger Keller in Miesbach gezeigt, wo er auch seine Autobiografie vorstellt.

Herr Huber, ausgeschlafen?

(lacht) Ja, jetzt schon. Ich habe mich nur kurz noch mal hingelegt. Ich bin heute schon um halb fünf aufgestanden und zum Jagen gegangen.

Seit wann sind Sie auch Jäger?

Seit zwei Jahren. Aber aktuell ist es schwierig, da es so warm ist. Es ist zu viel Äsung da, und die Tiere müssen daher nicht aus ihrem Einstand (Rückzugsgebiet für Wild) raus.

Wie erleben Sie diesen milden Winter sonst?

Also in diesen Monaten und in der Zeit um Weihnachten bin ich viel daheim. Das ist auch eine wichtige Zeit für Vorträge und Buchpräsentationen. Wenn man rausschaut, wünscht man sich natürlich eine Winterlandschaft. Aber es hat sich schon so viel verändert, es gibt so viele Extremwetterlagen. Das haben wir bei unserer letzten Expedition im Herbst in Indien erfahren, als der Monsun nicht enden wollte und wir statt viel zu wenig viel zu viel Schnee hatten.

Was ist passiert?

Mit meinem Bruder und dem Amerikaner Tad Mccrea war ich im Garhwal Himalaya am Meru unterwegs. Es war eine schöne Linie, eine undurchstiegene Wand und ein machbares Ziel. Aber wenn das Wetter nicht passt, kannst du noch so gut und noch so trainiert sein. Das haben wir von unserem Vater gelernt. Das allerwichtigste ist, die Sprache der Berge zu verstehen und von den Bergen dann wieder zurückzukommen. Wir haben es verstanden, dass es in diesem Jahr nicht funktioniert. Aber obwohl wir ohne Gipfel nach Hause gekommen sind, war es ein Erfolg, sobald wir im Flieger nach München waren.

Wie gehen Sie als naturverbundener Mensch mit den klimatischen Veränderungen um?

Eines habe ich auf meinen Expeditionen gelernt. Wer jammert, hat schon verloren. Ich versuche, das beste aus der Situation zu machen. Ich gehe nun eben im Winter Wandern, Berglaufen oder Gleitschirmfliegen. Auf mehr Sommersport im Winter müssen wir uns, glaube ich, einstellen. Zusätzlich kann jeder überlegen, wie er seinen Teil zum Klimaschutz beitragen kann. Aus der Lage, in der wir jetzt sind, müssen wir lernen, um es in Zukunft besser zu machen. Deutschland und Europa müssen mit gutem Beispiel vorangehen und zusammen helfen, um unseren Kindern und deren Kindern eine Welt zu hinterlassen, die lebbar ist. Dazu gehört auch eine Welt, die frei von Krieg ist.

Zusammen mit ihrem Bruder engagieren Sie sich auch bei Athletes for Ukraine gegen die Folgen des Kriegs…

Dass Athleten sich zusammentun und verbinden, ist wunderbar. Das zeigt, wie verbindend Sport sein kann. Mein Sohn fährt ja Snowboard im Weltcup, er hat ukrainische Freunde und russische Freunde. Zu zeigen, wie sinnlos dieser Krieg ist, ist ja auch eine Botschaft von Athletes for Ukraine. Ich persönlich finde es auch schade, dass Russen im internationalen Sport ausgeschlossen sind. So könnte man noch mehr zeigen, wie sinnlos der Krieg ist, wenn das Zusammensein gleichzeitig auf einer anderen Ebene, dem Sport, funktioniert.

Ziehen Sie diese Überzeugung auch aus ihren vielen Reiseerfahrungen?

Ich bin Bergsteiger und habe die Welt kennengelernt. So viele Kulturen, alle Religionen und so viele Menschen. Meine Heimat ist zwar Berchtesgaden, wo meine Familie lebt. Aber durch das Reisen hat sie sich ausgeweitet auf die ganze Welt. Überall sind Freundschaften entstanden. Fremde Menschen und Grenzen gibt es für mich nicht, wir sind alles Menschen und können uns die Hand geben. Das mag jetzt sehr pathetisch klingen, aber ich empfinde das so.

Seit über 30 Jahren sind sie in den Bergen der Welt unterwegs, noch länger in den Alpen. Ist Altern eigentlich ein Thema?

Man wird gelassener. So wie die Heimkehr ohne Gipfel, von der ich vorher gesprochen habe. Früher wollte man unbedingt, dass es funktioniert. Aber das ist ein Lernprozess, wie das Leben an sich immer einer ist.

Und wie steht es um das körperliche Alter?

(schmunzelt) Man spürt es, definitiv. Der Stoffwechsel wird langsamer, man muss länger regenerieren nach einer Trainingseinheit und der Trainingsumfang geht wie die Leistungsfähigkeit langsam nach unten. Aber: In den großen Bergen können wir trotzdem und wegen unserer Erfahrung schon noch die Grenzen, die uns gegeben sind, verschieben. Und wenn ich gefragt werde: Wie lange möchte ich das noch machen? Dann kann ich nur sagen: So lange wie ich Lust habe. Das ist übrigens auch eine typisch deutsche Frage. Wir meinen, dass alles immer geplant und strukturiert sein muss, aber das Leben lässt sich nicht planen. Aktuell jedenfalls bin ich richtig motiviert und versuche, die Stellschrauben, an denen ich arbeiten kann, ordentlich anzuziehen.

Wie sieht Ihr Trainingsalltag aus?

Ich habe eine Kletterwand und eine Klimmzugstange daheim. Oft kommen Freunde abends vorbei und wir trainieren zwei, drei Stunden. An den Tagen, an denen Pause vom Training ist, gehe ich dann Berglaufen.

Berglaufen zur Regeneration, nicht schlecht.

Ja, aber kein extremes Berglaufen, bei dem mir der Puls nach oben schießt. Einfach nur ein bisschen, dass der Körper merkt, okay, jetzt werde ich gefordert. Manchmal auch am Vormittag, vor den Trainingsabenden.

Und welche Ziele haben Sie aktuell im Kopf?

Seit zwei Jahren sind wir ja schon an einem Projekt an der Eiger Nordwand dran. Die Linie läuft durch den zentralen Wandteil. Eine Traumlinie. Ich verstehe gar nicht, dass das noch niemand gemacht hat. Aber jetzt sind wir dran. Mein Bruder, Stephan Siegrist und ich warten da gerade auf die optimalen Bedingungen. Vielleicht geht es bald los. Vielleicht fahre ich auch nach Patagonien heuer, das werde ich noch eruieren. Und mei, wer weiß. Es kann locker sein, dass ich im Herbst nochmal Richtung Meru und Shivling fahre.

Wie kommen Sie immer auf neuen Projekte?

Erst mal stellen wir uns vorher die Frage, in welches Land wir gehen wollen. Dann suchen wir uns eine Linie, eine Erstbegehung, die uns fasziniert, wo noch nie ein Mensch war. Ich habe das auch in meinem Buch beschrieben. Bergsteigen ist kein Extremsport, sondern Kunst. Die Kunst, Linien zu finden. Mein ganzes Leben lang suche ich nach magischen, traumhaften Linien, kenne noch so viele und dadurch habe ich gar kein Problem, Ziele zu finden.

Ist Bergsteigen nicht eher anstrengend als Kunst?

Aber sobald man versucht, etwas Neues zu schaffen, muss man erfinderisch sein. Man setzt sich dabei so sehr mit der Route auseinander, dass man Teil der Natur wird. Wenn man die Route dann geschafft hat und zurückschaut, ist das mehr als nur das Statement eines Sportlers, sondern eben Kunst.

Wie steht es um die Tour, die sie zusammen mit Laura Dahlmeier und ihrem Bruder auf den Brouillard Pfeiler am Montblanc gemacht haben?

Es war eine Traumtour, das hat wahnsinnig viel Spaß gemacht. Die Idee stammte ja von der Laura, da sie etwas machen wollte. Das finde ich klasse, dass nicht eine Firma auf uns zugekommen ist, mit der Idee. Sondern wir wollten das machen und dann sind unsere Partner dazugekommen. Deswegen ist der Film so gut, weil er so echt, ehrlich und authentisch ist.

Könnte es noch mehr Unternehmungen mit Laura Dahlmeier geben?

Erstmal ist sie eine wahnsinnige Frohnatur, man ist gerne mit ihr unterwegs. Ich bin ja mit ihr auch schon öfter in Berchtesgaden klettern gewesen. Außerdem war es ein gleichwertiges Team, die Laura hat unerschrocken alle Herausforderungen angenommen. Ich bin sicher, dass es noch etliche weitere gemeinsame Touren geben wird.

Neben Klettern als Kunst und vielen Touren schreiben Sie in Ihrem Buch auch über den titelgebenden Freiheitsbegriff…

Zunächst einmal geht es um die Freiheit loszuziehen, wo immer ich hinwill. In der Pandemie hat man dann noch mehr gemerkt, welche Freiheit die Berge bringen. Wenn unten alles reglementiert war, es Probleme gab, und du gehst auf den Berg und kannst über die Probleme in den Horizont hinwegschauen. Aber mehr und mehr habe ich auch gemerkt, dass es um eine Befreiung von einer Befangenheit geht.

Inwiefern?

Wenn man eine neue Route geschafft hat, sagt man nicht: Wow, jetzt genieße ich die Freiheit. Sondern: Endlich haben wir es geschafft. Es fühlt sich mehr nach Befreiung an. Und die Freiheit hat man eigentlich sowieso schon mit sich dabei, im Herzen. Man muss sie nur erkennen. Weil ich eben in die Berge gehe, ist die Freiheit immer bei mir in den Bergen dabei.

Aber hat auch Thomas Huber mal Momente, in denen er sich gestresst fühlt?

Also ich bin sehr weit weg davon, irgendein Yogi oder so zu sein (lacht). Der dann immer sagt: boa ich bin so entspannt. Ich glaube, die Freiheit kann man immer hervorrufen, wenn über deinem Zustand eine gewisse Gelassenheit ist. In dem Moment, in dem man gestresst und genervt ist, ist man ziemlich weit weg davon.

Interview: Thomas Jensen

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