„Wie soll ich das überleben?“

von Redaktion

Kitz-King Cuche über seine Erfahrungen auf der Streif und seine Nachfolger

München/Kitzbühel – Gestern fand auf der legendären Streif in Kitzbühel das erste Training statt. Am Freitag folgt die erste von in diesem Jahr zwei Abfahrten. Der König von Kitz ist ohne Frage Didier Cuche (48). Der 2012 zurückgetretene Schweizer ist mit fünf Erfolgen im Ski-Mekka der Rekordsieger. Wir haben mit ihm über seine Erfahrungen und Ängste auf der Höllenstrecke gesprochen.

Herr Cuche, was fällt Ihnen als erstes ein zu Kitzbühel?

Das Wort, das mir einfällt, ist: Wahnsinn. Wahnsinn in allen Bereichen. Nicht nur die Strecke, sondern auch das Ambiente mit so vielen Zuschauern. Und natürlich ein Wahnsinn auch für mich persönlich mit den Siegen, ohne einmal gestürzt zu sein.

Können Sie sich noch an Ihre erste Fahrt erinnern?

Also beim ersten Mal, das erste Training 1996, das war kein Vergnügen. Ich war extrem angespannt und es kamen davor auch spezielle Sprüche von Kameraden wie zum Beispiel: „Hoffentlich hast du nicht zu viel ausgepackt, will wollen nicht für dich wieder einpacken, wenn du nicht heil runterkommst.“

Und wie lief es dann?

Vor meinem Start war dreimal der Hubschrauber unterwegs und ist Richtung Krankenhaus geflogen. Ich dachte mir: Wie soll ich das überleben, wenn die Besten der Welt stürzen? Aber ich wollte dann nicht, dass mein Name zu denen gehört, die nicht unten ankommen. Ich habe es überlebt, aber es war kein Vergnügen. Zwischenzeitlich war ich fast wie Bode Miller damals mit dem Ski auf dem Fangnetz und danach hatte ich überhaupt kein Tempo mehr. Unten hatte ich dann acht Sekunden Rückstand, habe aber direkt nach der Ziellinie die Arme hochgerissen und gejubelt, als ob ich gewonnen hätte. Die Athleten im Ziel haben da natürlich alle gelacht. Zwei Jahre später habe ich dann aber gewonnen.

Warum hat es für Sie auf dieser gefürchteten Strecke so gut funktioniert?

Ich glaube, dass mir 1998 mein erster Weltcupsieg dort gelungen ist, war sicher ein wichtiger Grundstein. Bis zum nächsten Sieg hat es dann etwas gedauert, aber dafür hatte ich auch einige Podeste. Das bringt eben Selbstvertrauen, was man dort unbedingt braucht.

Keine Weltcup-Abfahrt ist leicht, jede hat ihre speziellen Anforderungen – aber was ist für Sie das, was Kitzbühel so speziell macht?

Nirgendwo sonst ist der Grat zwischen es richtig zu machen und im Netz zu landen so schmal. Und zwar nicht nur an einigen Stellen, sondern von oben bis unten. Im ersten und im letzten Drittel braucht es so viel Mut und Können. Ich hatte immer das Gefühl, keine Wahl zu haben. Du musst das beste ausschöpfen, und aus mir ist das Beste oft herausgekommen.

Können Sie es an einer Stelle beschreiben?

Zum Beispiel die Ausfahrt Steilhang. Wenn du da nicht exakt rauskommst und am falschen Ort den Kurvenausgang erwischt, hast du keine Chance mehr, danach richtig reinzukommen und Tempo zu machen. Diese Kurve musst du auf den Punkt richtig fahren. Und danach geht es Schlag auf Schlag weiter, dass man die Linie so genau treffen muss. Wenn einem das bis runter gelingt, dann macht die Zieltraverse richtig Spaß.

Spaß auf der Streif?

Wenn das nicht klappt, ist es die Hölle. Aber wenn man bemerkt, dass man alles richtig gemacht hat und es dann im Ziel grün aufleuchtet, das ist ein unbeschreibliches Gefühl. Mit den Jahren und der Erfahrung war es bei mir immer mehr Vorfreude. Klar hat es Athleten immer auch erwischt dort und das reist mit. Aber wenn man dann gesund wieder heimreisen kann, ist es umso schöner. Vor allem mit so einem Gamsbock im Kofferraum.

Danach wurde immer ordentlich gefeiert, oder?

Ja, aber da war Kitzbühel die Ausnahme vom Winter. Von Kitzbühel heil abreisen und sich als Sieger feiern lassen im Londoner, das ist speziell. Ich betone aber: Ausnahme. Jedes Wochenende Party machen so wie Bode Miller habe ich mich nie getraut. Aber auch Bode hat irgendwann bemerkt, dass man besser ist mit mehr Seriosität.

Zu den Abfahrtsstar von heute: Waren Sie etwas traurig, als Beat Feuz sein Karriereende bekannt gegeben hat?

Ein bisschen traurig schon. Er ist eine Persönlichkeit, die gutgetan hat. Überrascht, dass das so spontan kam, war ich auch kurz, aber bei mir war das ähnlich. Seine Erklärung, dass es bei der WM nicht um Beat, sondern die WM gehen soll, fand ich sehr cool. Er hat alles gewonnen, was man als Abfahrer gewinnen kann. Daher kann ich das gut verstehen. Auch wegen seiner Knie-Geschichte. Außerdem ist er ja 36 und Familienvater. Er hat alles richtig gemacht, das ist bestimmt kein falscher Zeitpunkt.

Er ist wohl einer der konstantesten Abfahrer aller Zeiten…

Und er hat sehr viel feines Gefühl auf dem Schnee, ist ein super Gleiter, der sehr smart unterwegs ist. So wild und frech zu fahren, wie die jüngeren, das brauchte er gar nicht. Außerdem bringt er so viel Lockerheit und Coolness mit. Jetzt hört er auf. Matthias Mayer hat schon aufgehört, mal schauen wer da vorne dazukommt zu den Besten.

Die besten Abfahrer aktuell sind wohl Aleksander Aamondt Kilde, Marco Odermatt und Vincent Kriechmayer…

Und alle drei sind unterschiedlich, vom Skifahrerischen und vom Charakter her. Ich bin überzeugt, dass Kriechmayer die Abfahrtwertung einmal gewinnen wird in seiner Karriere. Er fährt technisch so cool, ist so konstant und stabil. Kilde dagegen geht immer extrem ans Limit. Ich wünsche ihm, dass er gesund bleibt und es nicht einmal überreißt. Aber das ist eben sein Fahrstil – falls er mal rausnehmen würde, wäre er gleich nicht mehr so schnell. Und ein richtig cooler Hund ist er auch.

Und ihr Landsmann Odermatt?

Zu ihm gibt es keine Worte mehr. Er gehört zu den Namen, die in 50 Jahren noch präsent sein werden. So wie Svindal, Kjus, Maier oder Hirscher.

Gibt es für ihn überhaupt noch etwas zu verbessern?

Ich glaube er hat schon alles, aber in den nächsten Jahren wird noch mehr Erfahrung dazukommen. Und die ist in der Abfahrt so wichtig, um noch stärker zu werden. Dass er extrem lernfähig ist, hat man in den Abfahrten letztes Jahr schon gesehen. Bis er auch in der Abfahrt gewinnt, ist nur eine Frage der Zeit. Es geht noch darum, sein eigenes Limit rauszufinden, ohne es zu überschreiten. Das ist in der Abfahrt nicht schön. Man muss sein eigenes Limit rausfinden und das Limit der Strecke. Das ist ausschlaggebend in jeder Abfahrt und vor allem in Kitzbühel. Wenn man da eines der Limits überschreitet, ist man nicht im Ziel oder nicht schnell.

Interview: Thomas Jensen

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