Kitzbühel – Vincent Kriechmayer zitterte im Zielraum der Streif um seine Bestzeit. Der führende Österreicher sah wie Aleksander Aamodt Kilde die Strecke hinunterraste – und ihm nach anfänglichem Rückstand mit jedem Meter näherkam. Nur acht Hundertstel trennten die beiden zwischenzeitlich – bis der Norweger von der Traverse kurz vorm Ziel beinahe abgeworfen wurde. Höchst artistisch vermied er einen Sturz in den Fangzaun, doch die Chancen auf den Sieg war dahin, es reichte nur für Platz 16. „Die Streif ist der Mythos. Für einen österreichischen Abfahrer das wichtigste Rennen“, zeigte sich Freitags-Champion Kriechmayr glücklich im ORF.
Zumal der 31-Jährige eine ganze Ski-Nation zumindest vorübergehend befriedete. Einen „Sauhaufen“ hatte Ex-Abfahrer und ÖSV-Finanzreferent Patrick Ortlieb (55) seinen Verband, beziehungsweise das, was ihm Ex-Boss Peter Schröcksnadel (81) übergeben hatte, jüngst genannt. Der wiederum schoss wortgewaltig zurück. Die ÖSV-Athleten schienen und scheinen unter dem Knatsch zu leiden, auch gestern im Training landete neben Kriechmayr nur Otmar Striedinger (14.) unter den besten 30.
Auch die deutschen Ski-Herren schwächelten bisher, der gestrige Auftritt machte aber Mut. „Heute war wieder so ein Tag, an dem ich während dem Fahren Spaß hatte“, sagte Thomas Dreßen (13.) und weiter: „Wenn du trotz so einer schwierigen Strecke noch Spaß hast: was willst Du mehr?“ Die Fahrt hätte sich schon unterwegs „gut angefühlt“, merkte der 29-jährige Mittenwalder an und resümierte: „Für mich ist es wichtig, kleine Schritte zu machen. Und das war heute schon ein großer Schritt.“ Auf der Strecke habe er „das Gefühl wiederbekommen“, merkte er an. „Ich habe gemerkt, dass eine minimale Bewegung im Schwung Zug gibt und es mich aus dem Schwung raus schiebt“, erläuterte er.
Dass es ihn noch ein paar Plätze nach hinten spülte, lag auch an der besser werdenden Sicht. Fiel bei Dreßen noch leichter Schnee, nutzten die hinteren Startnummern das mehr und mehr bessere Licht. Der Südtiroler Florian Schieder landet urplötzlich sogar noch auf Rang zwei. „Ein Schock“, kommentierte der 27-Jährige seine Fahrt, die mit nur 23 Hundertsteln Rückstand endete, lachend im ORF. Auch Kriechmayr dürfte da kurz gezuckt haben. Dritter wurde der Schweizer Niels Hintermann (+0,31).
Dreßen war trotzdem zufriden. Für die Abfahrt an diesem Samstag (11.20, ZDF) nahm sich der verletzungsgeprüfte Streif-Sieger von 2018 vor, die „Lockerheit“ und „das Gefühl“ mitzunehmen. „Wenn ich Spaß habe, dann flutscht es einfach“, so Dreßen. An den Freitag anzuknüpfen nimmt sich wohl auch Andreas Sander vor. Der 33-jährige Vizeweltmeister in der Abfahrt wurde nach zuletzt mageren Ergebnissen 15. (+ 0,94). Die anderen Starter des deutschen Ski Verbandes Romed Baumann, Josef Ferstl und Dominik Schwaiger verpassten allesamt die besten 30.
Einen schwarzen Tag erwischte der Gesamtweltcup-Führende Marco Odermatt. Einen Schnitzer an der Ausfahrt des Steilhangs konnte der 25-Jährige gerade noch ausbügeln – nur auf einem Ski fahrend und mit dem anderen kurz auf Kopfhöhe. Ohne Tempo landete der Schweizer außerhalb der Punkte, humpelte im Ziel und verletzte sich womöglich am Meniskus, ein MRT soll Klarheit bringen. Sicher ist: Odermatt lässt die zweite Abfahrt sausen. Stöckli-Rennchef Benni Matti zu Blick: „Er braucht jetzt Ruhe.“ Sein Landsmann Beat Feuz wird hingegen noch ein letztes Mal auf der Streif antreten. Am Freitag wurde der legendäre Kugelblitz „nur“ 28.