München – Man hätte die Geschichte(n) dieses Spiels auch aufschreiben können, ohne mit einem Beteiligten gesprochen zu haben, denn die Stichworte dafür gaben die flüchtenden Profis des FC Bayern nach dem 1:1 gegen Köln selbst. Bankdrücker Thomas Müller wollte lieber die „Protagonisten sprechen lassen“, der wegen seines Ausflugs zur Fashion Week kritisierte Serge Gnabry „hätte auch so nichts gesagt“, der wegen Schwindel ausgewechselte Leon Goretzka hatte „Kopfweh“ und die ins Torhüter-Theater involvierten Männer sagten gleich: „Kein Kommentar!“ Zu viele kleine Brandherde für guten Fußball, hätte man mutmaßen können. Dann aber kam Hasan Salihamidzic – und fand etwas drastischere Worte.
„Es ist jetzt höchste Zeit, dass wir umschalten“, sagte der Sportvorstand, sichtlich angefressen, nach eigener Aussage „genauso unzufrieden wie Fans und Spieler“. Das zweite Remis hintereinander, die magere Ausbeute von zwei Punkten aus den ersten beiden Spielen des Fußballjahres 2023, kommentierte er als „klassisch den Start verschlafen“. Und er legte dem Team von Julian Nagelsmann nahe, ab sofort „genauso anzufangen, wie wir in der zweiten Halbzeit gespielt haben. Wir müssen begreifen, dass es jetzt um die Meisterschaft geht.“
Es gab in diesen knapp zehn Minuten, in denen Salihamidzic sprach, einige Aussagen, die nachhallen werden. Dass die Bayern durch den vor der WM-Pause mit zehn Serien-Siegen erspielten Vorsprung Herbstmeister sind, die Tabellenlage noch nicht allzu ernst ist, ging an diesem Abend daher unter. Nicht nur Salihamidzic hatte – vor allem in der ersten Hälfte, in der Köln schon in der vierten Minute durch Ellyes Skhiri in Führung gegangen war – bei derselben Elf, die Julian Nagelsmann schon beim 1:1 in Leipzig aufs Feld geschickt hatte, ein Einstellungsdefizit gesehen. Auch Joshua Kimmich, der mit seinem Traumtor zum 1:1 (90.) den totalen Fehlstart verhinderte, stellte klar: „Wir müssen gieriger und griffiger auftreten.“ Der Flow aus dem Herbst ist dem Serien-Meister augenscheinlich abhandengekommen. Kimmich gab zu: „Da hatten wir ein ganz anderes Selbstverständnis.“
Wo und warum das „Mia san mia“ auf der Strecke geblieben ist, konnte Salihamidzic noch nicht beantworten. Immerhin aber ließ der 46-Jährige bei seiner Generalkritik durchblicken, dass er nicht alle Profis anzähle. Es gebe aber auch „einige Jungs, die wollen, die die richtige Mentalität auf den Platz bringen. Wir haben schon einige Lichtblicke gehabt“, führte er aus. Kapitän Kimmich etwa, aber auch die eingewechselten Kingsley Coman und Ryan Gravenberch.
Sie brachten den Schwung, der gegen leidenschaftlich laufende Kölner zunächst gefehlt hatte. Trotzdem gelang der erlösende Ausgleich erst mit dem 21. Torschuss in der Schlussminute. Nagelsmann hatte zuvor „das Bewusstsein für jede einzelne Aktion“ vermisst, bezeichnete den Auftritt nach der Pause aber als „Benchmark, die wir nun selber gelegt haben“. Gegen Verfolger Frankfurt will der 35-Jährige im Topspiel am Samstag von Beginn an „Emotionalität, Passschärfe, gute Positionierung und Mut“ sehen: „Dann bin ich guter Dinge.“
Was passiert, wenn das nicht gelingt, sollte aus der Mini-Krise im Herbst noch präsent sein. Auch jetzt schon sagte Nagelsmann: „Bei Bayern München ist immer Unruhe, wenn du nicht gewinnst.“ Persönliche Befindlichkeiten – siehe: Brandherde und frustrierte Profis – wollte er jedoch nicht als Ausrede zählen lassen: „Das ist mir zu viel Alibi.“