München – Im Mittelpunkt zu stehen, ist nicht unbedingt das Ding von Jessica Degenhardt (20) und Cheyenne Rosenthal (22). Wenn man aber als amtierende Weltmeisterinnen im Doppelsitzer bei der Heim-WM der Rodler in Oberhof startet, kommt man da nicht aus. Mama, Papa, Oma, Opa, Tante, Onkel, Geschwister: Der Fanclub für die Mitfavoritinnen wird groß sein, wenn es ab heute um die Medaillen geht. Im Interview blickt das Duo auf den Wettbewerb, der erstmals im Rahmen der Senioren-WM ausgetragen wird und ab 2026 olympisch ist.
Frau Degenhardt, sagen Sie: „Wir wollen Gold“ – oder ist das zu forsch?
Degenhardt: Nein, das ist nicht zu forsch – es ist unser erklärtes Ziel. Wir stehen gerade als Weltmeisterinnen da. Das ist ein schönes Gefühl. Wir haben in diesem Jahr zwar keinen Weltcup-Sieg gefeiert, aber jetzt geht es auf die Heim-Bahn. Diesen Vorteil wollen wir nutzen, voll angreifen. Wir haben einen Titel zu verteidigen.
Sie sind beide mit dem Ziel in die Sommervorbereitung gestartet, im Einer in den Weltcup zu kommen. Warum sitzen Sie jetzt zusammen im Doppel?
Degenhardt: Wir sind zwar in der Vorbereitung nur Einzel gefahren, haben aber im späten Sommer festgestellt, dass wir das Doppel nicht aufgeben wollen – auch wenn es schwer ist, beides parallel zu stemmen. Die Entscheidung wurde einfacher, als wir uns beide nicht für den Weltcup qualifiziert haben. Wir bereuen den Schritt nicht.
Schauen Sie aber wehmütig auf die Einzelrennen?
Degenhardt: Nein. Natürlich ist es schade, dass der Einsitzer gerade in der Ecke liegt. Aber wir machen das Beste draus. Wir haben hier eine tolle Möglichkeit, die wir auch nutzen wollen.
Ist die Entscheidung für das Doppel für eine Saison getroffen worden – oder für den Olympiazyklus?
(beide überlegen – und lachen dann) Rosenthal: Ähm…
Sind Sie sich nicht einig?
Rosenthal: Es wird sicher bei der Entscheidung bleiben, dass wir den Doppel nicht aufgeben wollen. Wie und ob es im Einzel weitergeht, ist aber so noch nicht besprochen worden.
„Erste Doppel-Olympiasiegerinnen“ – das wäre aber doch ein Ansporn, oder?
Degenhardt: Durchaus (lacht). Rosenthal: Es sind noch drei Jahre hin – aber es ist auf jeden Fall eine gute Option.
Ist man eine gute Doppelfahrerin, wenn man eine gute Einzelfahrerin ist?
Degenhardt: Man sollte im Doppel schon eine gute Einzelfahrerin sein. Da macht es zum Beispiel viel aus, wenn man auf verschiedene Situationen immer richtig reagieren kann. Die Umstellung zwischen Einzel und Doppel ist nicht so einfach, man liegt ganz anders auf dem Schlitten, muss anders lenken und fahren. Wenn du dich da schnell drauf einstellen, dich umstellen kannst, hast Du schon einen Vorteil. Rosenthal: Auch die Bahnerfahrung spielt eine große Rolle. Wenn man jede Kurve vom Einzel schon kennt, kann man den Schlitten auch im Doppel an manchen Stellen retten und sicherer ins Ziel bringen.
Ist der Doppel schwieriger zu beherrschen?
Degenhardt: Es ist einfach anders. Du bist nicht mehr alleine, du musst als Team arbeiten. Jeder von uns ist essenziell notwendig für das Doppel. Da spielen so viele Faktoren zusammen. Ich finde es vom Konzept her nicht schlecht. Als Frau hatte man nie die Möglichkeit, mehr als zwei Medaillen zu gewinnen. Der Doppelsitzer als neue Disziplin ist verlockend.
Es muss nicht nur sportlich passen, auch zwischenmenschlich. Ergänzen Sie sich besonders gut?
Rosenthal: Wir verstehen uns neben der Bahn auch sehr gut – das war schon vor unserem Zusammenschluss als Doppelsitzer so. Außerdem ist es sicher förderlich, dass wir uns schon viele Jahre kennen. Mittlerweile wissen wir genau, wann man dem anderen helfen kann – und wann man ihn mal in Ruhe lässt.
Gibt es Marotten, die Sie zur Weißglut bringen?
Degenhardt: Sagen wir mal so: Wir können mit den Macken des anderen gut umgehen (lacht). Natürlich gibt es Situationen, in denen man denkt: Was macht die andere denn jetzt da? Aber es ist ja auch ganz normal, dass man nicht zu 100 Prozent mit einem anderen Menschen übereinstimmen kann. Zudem teilen wir uns ja nicht nur einen Schlitten, sondern auch ein Zimmer…
Haben Sie die Rollen schon mal getauscht?
Rosenthal: Grundsätzlich ist es ja schon so, dass die größere Person oben liegt und die kleinere am besten unter ihr verschwindet. Dadurch, dass wir beide recht groß sind, sind wir eh schon eins von den größeren Doppeln.
Wie groß sind Sie?
Rosenthal: Ich 1,73 Meter. Degenhardt: Ich 1,79 Meter. Rosenthal: Und es gibt bei den anderen Doppeln schon auch Untersitzerinnen, die einen Kopf kleiner sind als ich. Das schaut dann bei Siegerehrungen lustig aus, wenn auf dem Podest vier große und zwei kleine Frauen stehen. Degenhardt: Aber um die Frage zu beantworten: Ich will gar nicht tauschen.
Warum?
Degenhardt: Ich liege oben, ich habe den Überblick. Für jede Unterfrau ist es schwer, sich das erste Mal unten hinzulegen. Man sieht halt nichts nach vorne, nur zur Seite raus. Das muss ich jetzt nicht unbedingt haben… Rosenthal: Es gab eine lange Zeit, da habe auch ich gesagt: Ich lege mich nie im Leben auf einen Doppel. Im Nachhinein muss ich aber sagen, dass es kein Problem ist, wenig zu sehen. Man probiert ja auch im Einzel, den Kopf nach hinten zu legen und ohne Sicht zu fahren. Das habe ich jetzt verstärkt, nach vorne sehe ich nichts außer einem gelben Helm.
Ein berühmter Untersitzer hat gesagt: „Unten ist man die ärmste Sau.“ Würden Sie das unterschreiben?
Rosenthal: Direkt unterschreiben nicht (lacht). Aber klar, wenn mal ein Fahrfehler passiert, kann ich nicht so eingreifen, dass ich den Schlitten komplett rette. Wenn er kippt, steige ich ja nicht vorher aus …
Das technische Reglement für die Doppelsitzer der Herren hat sich vor der Saison geändert. Mussten auch Sie viel tüfteln?
Degenhardt: Überhaupt nicht. Weil wir Frauen auf Einheitsschlitten fahren, von einer bestimmten Firma. Es gibt zwei Modelle, an denen man ein bisschen basteln kann. Aber es ist nicht so, dass man so schön testen kann wie im Einzel – und wie die Jungs das auch machen. Wir sind da leider recht eingeschränkt.
Waren Sie denn im Einer Tüftlerinnen?
Rosenthal: Ich habe meinen Einer-Schlitten im Prinzip selbst gebaut, zumindest die Wanne, in der ich liege. Ich würde mich also schon als Tüftlerin bezeichnen.
Gibt es viel Austausch mit Wendl/Arlt – den Vorzeige-Doppelsitzern?
Degenhardt: Wenn wir den Schlittenbau rauslassen, schon. Nicht nur die Tobis, sondern alle deutschen Doppel helfen uns, wenn wir Fragen zur Fahrlinie, zur Liegeposition, zu Lenkeinsätzen haben. Da haben wirklich alle ein offenes Ohr. Es ist ein schönes Arbeiten.
… das hoffentlich von Erfolg in Oberhof gekrönt ist. Früher tanzten Sie am Start gerne, um die Anspannung abzuschütteln. Sehen wir einen WM-Tanz?
Degenhardt: Gut möglich (lacht). Ich habe in letzter Zeit weniger getanzt. Ich höre zwar immer laut Musik, wippe aber derzeit nur mit. Trotzdem gilt: Ich habe da keine Schamgrenze. Wenn ich tanzen will, tanze ich.
Und Cheyenne macht mit?
Rosenthal: Wenn es ein Gold-Tanz wird, natürlich gerne!
Interview: Hanna Raif