Melbourne – Novak Djokovic klopfte sich zweimal aufs Herz, zeigte in den Himmel und schickte Küsse in Richtung seiner Mama Dijana, die ohne Papa Srdjan gekommen war. „Ich habe eine lebhafte Vorstellungskraft, aber das habe ich mir nicht ausgemalt“, sagte Djokovic, als er auf den Tag 15 Jahre nach seinem ersten Triumph in Melbourne zum zehnten Mal ins Finale der Australian Open eingezogen war. Bei seinen ersten neun Anläufen triumphierte Djokovic.
Der serbische Tennis-Topstar schaffte trotz der lärmenden Unruhe im Vorfeld um seinen Vater mit einem letztlich sicheren 7:5, 6:1, 6:2-Sieg gegen den klaren Außenseiter Tommy Paul aus den USA den vorletzten Schritt in Richtung seines 22. Grand-Slam-Triumphs, der ihn auf eine Stufe mit Rekordchampion Rafael Nadal heben würden.
Abschließen muss Djokovic sein Meisterwerk am Sonntag (9.30 Uhr/Eurosport) gegen den starken Griechen Stefanos Tsitsipas, der sich nach seinem 7:6 (7:2), 6:4, 6:7 (6:8), 6:3 gegen den Russen Karen Chatschanow angriffslustig präsentierte. „Ich werde die Chance ergreifen und mich bereit machen für diesen großen Tag“, sagte der 24-Jährige, es gehe für ihn um einen Kindheitstraum. Seine Euphorie über den Finaleinzug sprudelte direkt nach dem Halbfinale aus ihm heraus. In Melbourne gibt es eine große griechische Gemeinde, 300 000 Menschen griechischer Abstammung leben dort – Tsitsipas ist bei den Australien Open daher Publikumsliebling. An die Fans gerichtet brüllte er nach dem Halbfinale ins Mikrofon: „Lasst es uns tun, Leute! Lasst es uns angehen!“
„Das ist ein Traumfinale. Wenn es um die Nummer eins geht in einem Grand-Slam-Finale, ist es das Ultimative“, sagte Boris Becker bei Eurosport: „Es wird so oder so Tennis-Geschichte geschrieben.“ Der Sieger führt ab Montag die ATP-Weltrangliste an. Im direkten Vergleich führt der Serbe allerdings mit zehn zu zwei.
Das Sportliche rückt nach der Aufregung um Djokovics Vater also wieder in den Vordergrund. Der hatte sich im Melbourne Park mit Personen filmen lassen, die unter anderem eine russische Flagge inklusive des Konterfeis von Wladimir Putin zur Schau stellten. Am Freitag kündigte Srdjan Djokovic dann kurzfristig an, auf das Match seines Sohnes zu verzichten. Ein Platz in der Box blieb leer.
„Ich hatte nicht die Absicht, solche Schlagzeilen oder Störungen zu verursachen“, schrieb Srdjan Djokovic in einem Statement. Seine Familie habe „die Schrecken des Krieges miterlebt, und wir wünschen uns nur Frieden.“ Zuvor hatte der ukrainische Botschafter für Australien, Wasyl Myroschnytschenko, gefordert, Djokovic senior müsse die Akkreditierung entzogen werden. Auch der australische Premierminister Anthony Albanese, der das Match auf der Tribüne verfolgte, sagte, er wolle „keine Unterstützung für die russische Invasion in der Ukraine“.
Viel Unruhe also, die an Djokovic zunächst nicht spurlos vorbeizuziehen schien. Im ersten Satz wirkte er zeitweise fahrig und gab eine 5:1-Führung her. „Es sind viele Nebenkriegsschauplätze, die ihn in seiner Konzentration stören“, sagte Djokovics Ex-Trainer Becker bei Eurosport. Doch Djokovic berappelte sich in typischer Manier und machte das Traumfinale perfekt – für Djokovic ist es bereits das 33. Grand-Slam-Endspiel. sid