„Jetzt startet die Hetzjagd“

von Redaktion

Das Ocean Race geht in seine spannendste Phase: Interview mit Segel-Experte Jochen Rieker

Jochen Rieker (61) ist Herausgeber der renommierten Zeitschrift „YACHT“. Im Gespräch mit unserer Zeitung spricht er über die Faszination Segeln, den deutschen Skipper Boris Herrmann und ordnet den bisherigen Verlauf des Ocean Race ein.

Jochen Rieker, das Segeln erreicht nicht mehr nur die Nische, sondern begeistert ein immer breiteres Publikum. Teilen Sie diesen Eindruck?

Absolut! Wir können das auch mit Zahlen auf unserer Website belegen. Die Vendée Globe, Route du Rhum oder auch jetzt das Ocean Race führen immer wieder zu absoluten Peaks. Wir gewinnen neue Zielgruppen, der Kreis der Interessenten wird größer. Der Effekt ist umwerfend (lacht). Es ist natürlich nicht nur ein Boris-Herrmann-Effekt, aber er hat schon einen großen Anteil daran. Vor zwei Jahren hatten wir in der Schlussphase der Vendée Globe Zahlen, die so extrem höher waren als unsere normale Auslastung, dass wir Serverkapazität zukaufen mussten. Aktuell sind wir wieder in einem Rekord-Modus unterwegs.

Wie wichtig ist Boris Herrmann für das gestiegene Interesse?

Er ist eine absolute Licht- und Glücksgestalt für den Sport. Er kann sehr gut vermitteln, was das Segeln besonders macht. Auch die Härten und die Niederungen. Er macht das Segeln für ein breites Publikum gut begreifbar.

Was begeistert Sie am Segeln?

Die größte Kraft ist, dass einen das Segeln mit allen Sinnen gefangen nimmt. Man ist komplett in einer anderen Welt. Für mich ist das Segeln einer der letzten quasi unreglementierten Lebensräume. Da das Wetter einem ständigen Wandel unterliegt, ist es auch immer sehr abwechslungsreich und vielfältig.

Beim Ocean Race sind dieses Mal nur fünf Boote gestartet. Warum?

Es ist ein Übergangsevent, bei dem eine Bootsklasse die andere ablöst. In Fachkreisen rechnet man aber damit, dass beim nächsten Mal schon wieder zwischen acht bis zehn Boote starten werden. Das wird dann noch mal deutlich spannender.

Der Start von Malizia war ausbaufähig. Teilweise lag das Team über 200 Seemeilen zurück. Gab es einen Hauptgrund hierfür?

Es sind sicherlich mehrere Faktoren, die dazu geführt haben. Das Boot ist das schwerste von der neuen Generation. Sie haben auch keinen für tiefe raume Kurse (bei Wind von schräg hinten, d. Red.) optimierten Spinnaker an Bord. Gerade in der Anfangsphase hat das Meilen gekostet. Das Boot ist nicht nur schwer, sondern auch sehr breit. Da muss viel Wasser am Rumpf entlang, was Reibung verursacht und einen Geschwindigkeitsverlust mit sich bringt. Aber man muss sehen: Alle neuen Boote sind Entwicklungsprojekte, die einen langen Reifeprozess durchlaufen und sehr stark vom Ocean Race profitieren werden. Ende dieser Saison im Herbst wird man das wahre Potenzial von Malizia erst richtig einordnen können. Aktuell sehe ich keine große Achillesferse.

Boris Herrmann muss aufgrund einer Verbrennung pausieren. Macht es einen großen Unterschied, dass Will Harris nun übernimmt?

Von der Kenntnis und der Fähigkeit, ein Boot schnell zu segeln, gibt es da keinen signifikanten Unterschied. Es stellt sich für mich aber eine andere Frage. Der Skipper ist am Ende derjenige, der entscheiden muss. Will Harris ist mit seinen 28 Jahren der Zweitjüngste an Bord, der mit Nicolas Lunven und Yann Elies zwei hochdekorierte Profis an seiner Seite hat. Wenn es eine schwierige Entscheidung gibt, wie wird die getroffen? Wird durch einen Diskurs entschieden oder gibt der Skipper klar den Kurs vor? Da bin ich schon sehr gespannt, was das Team in Kapstadt berichten wird. Boris hätte sicher mehr Autorität, allein schon aufgrund seiner umfangreicheren Erfahrung.

Wie sieht die Rennsituation aktuell aus?

Die Boote haben den harten Teil der Kalmen, in dem man den Launen der Natur komplett ausgesetzt ist, hinter sich. Die westliche Position von Malizia war eine sichere Bank, sie konnten den Rückstand halbieren. Interessanterweise hat das deutsch-französische Team Guyot von seinem stark östlichen Kurs profitiert. Sie sind erstaunlich zügig durch die Schwachwindzone gekommen und haben eine zauberhafte Spur gelegt, mit der so niemand gerechnet hat.

Können Sie uns noch einen Ausblick auf die kommenden Tage des Ocean Race geben?

Jetzt beginnt aus meiner Sicht die spannendste Phase: ein Autobahnrennen, achter Gang, Vollgas an der brasilianischen Küste entlang. Der Wind kommt direkt von der Seite, das ist der schnellste Kurs. Jetzt wird man sehen, wie schnell die Boote tatsächlich in ihrer Paradedisziplin segeln. Ich bin gespannt, ob Malizia da mithalten kann. Das werden drei, vier Tage Hetzjagd, Highspeed pur.

Interview: Nico-Marius Schmitz

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