Courchevel – Angeschlagen nach einem Trainingssturz und einem Magen-Darm-Infekt: Noch läuft die WM-Vorbereitung für Thomas Dreßen (29) nicht gut. In Courchevel möchte der Kitzbühel-Sieger von 2018 ohnehin nur die Abfahrt absolvieren, auf den Super G verzichtete er. Dass erste Training auf der Strecke hat der leidgeprüfte Mittenwalder absolviert, allerdings im Schongang, mit normaler Skihose und Fleece.
Herr Dreßen, 2021 in Cortina d’Ampezzo sind Sie nach einer Verletzung gestartet, ohne in der Saison zuvor ein Weltcuprennen bestritten zu haben. Ist Ihr Gefühl diesmal besser?
Vor zwei Jahren bin ich sogar, was meine Möglichkeit betrifft, positiver gestimmt zur WM gefahren als dieses Mal. Jetzt sehe ich, dass nach vorne noch ein gewisser Abstand ist. Damals hatte ich mir schon zugetraut, gleich wieder vorne mitzufahren, ich hatte ja nur ein paar Monate pausiert. Ich habe in Cortina alles auf eine Karte gesetzt, und da sind mir dann ein paar Fehler passiert. Diese Fehler, sage ich mal, habe ich in dieser Saison schon alle gemacht. Die sollte ich abgespeichert haben und jetzt bei der WM nicht mehr machen.
Gilt ihr neues Motto, dass Spaß wichtiger ist als das Ergebnis, auch jetzt?
Ziele setze ich mir keine, ich will einfach schauen, wie wohl ich mich fühle. Es kann sein, dass ich gleich wieder einen guten Grundspeed habe. Die Charakteristik der Strecke muss man erst entschlüsseln. Wenn das gut funktioniert, warum soll ich nicht vorne mitfahren? Aber genauso gut kann es sein, dass ich mich schwertue. Dann brauche ich nicht von mir zu erwarten, dass ich um eine Medaille mitfahre.
Sie haben während Ihrer langen Pause Geduld gebraucht. Hilft das jetzt noch, da sie wieder Rennen fahren, oder nicht?
Sowohl als auch. So ein Rückschlag wie der in Kitzbühel beschäftigt mich mehr als vor meinen Verletzungen. Vielleicht aufgrund meiner mentalen Situation im vergangenen Jahr, oder weil ich schon so lange weg war. Jedenfalls merke ich brutal, dass ich unbedingt Rennen fahren will. Vielleicht war es aber ganz gut, dass das in Kitzbühel so passiert ist. Da habe ich gesehen, dass ich, wenn ich in der einen oder anderen Situation riskiere, trotzdem technisch bei der Sache bleiben muss.
Wollten Sie in der zweiten Kitzbühel-Abfahrt zu viel?
Das würde ich so nicht sagen. Denn wenn man keinen Schritt machen will, dann wird man nicht nach vorne kommen. Und ich will ja wieder nach vorne kommen. Ich habe jetzt einfach gemerkt, dass der Speed wieder da ist. Meine Trainer haben auch gesagt, es sei der richtige Weg, wieder mehr das Risiko zu suchen. In Kitzbühel habe ich es mir zum ersten Mal wieder zugetraut.
Die WM-Strecke ist für Sie neu, da Sie 2022 beim Weltcup-Finale nicht dabei waren. Braucht man auch Geduld bei der Erarbeitung einer neuen Strecke?
Ich hoffe, dass wir drei Trainingsfahrten haben, so ist es ja auch vorgesehen. Denn jede Trainingsfahrt mehr auf einer neuen Strecke tut mir gut. Natürlich habe ich einen Nachteil, denn diejenigen, die im Finale dabei waren, kennen die Grundcharakteristik der Strecke schon. Aber das muss kein Problem sein. Die letzten Male, als ich auf eine neue Strecke ging, waren bei der WM in Cortina und in Saalbach 2021.
Und in Saalbach hatten Sie gewonnen …
Genau, und da hatten wir, glaube ich, nur ein Abfahrtstraining vor dem Rennen. Das Wichtigste ist, dass ich mein Programm abspule, mir das vor Ort gut einpräge. Dann habe ich normalerweise überhaupt kein Problem damit. Es gibt unterschiedliche Herangehensweisen, sich eine Strecke einzuprägen. Die einen suchen sich Anhaltspunkte wie Bäume oder Werbebanner, andere orientieren sich an der Linie.
Wie machen Sie das?
Ich merke mir keine Linie, sondern präge mir die wichtigen Stellen ein. Ich schaue mir bei Sprüngen an, welche Richtung ich brauche. Und in der Verlängerung dieser Linie suche ich mir für das erste Training einen Baum oder einen Berggipfel als Orientierung. Normalerweise weiß ich nach dem ersten Training, mit wie viel Richtung ich über den Sprung oder die Welle kommen muss. Was zwischen diesen Passagen kommt, ergibt sich dann. Denn wenn man nur auf Linie fährt, dann hält man den Ski unbewusst zu viel hin. Und das bremst.
Wie lange braucht ein erfahrener Abfahrer, bis er sich alles erarbeitet hat?
Mit der Erfahrung kommt natürlich ein gewisses Gespür. Man kann dann schon bei der Besichtigung gut einschätzen, wie weit ein Sprung ungefähr geht. Meistens passt das relativ gut. Dann entwickelt jeder für sich einen Plan, wie man seine Trainings, die Vorbereitung auf die Abfahrt angeht. Ich sehe das erste Training mehr oder weniger als bessere Besichtigungsfahrt, fahre da bewusst etwas aufrechter zu den Sprüngen und Wellen hin.
Geht es bei der Besichtigung am Renntag dann nur um die Schneebeschaffenheit?
Wenn das bei mir alles gepasst hat im ersten Training, ist das bei mir tatsächlich so. Ich schaue, wie die Piste ist, ob sie glatter, aggressiver geworden ist. Dann überlege ich, wo ich landen würde, wenn ich an einer bestimmten Stelle mehr riskiere und ob da die Piste noch gut ist oder der Schnee zu weich.
Es ist Ihre dritte WM. Nicht viel für 29 Jahre …
Ich habe auch erst einmal Olympische Spiele erlebt. Aber ich würde schon sagen, dass ich mich bei den Großereignissen, bei denen ich bisher dabei war und ich vorher in der Saison auch Weltcuprennen bestritten habe, ganz gut verkauft habe. In St. Moritz 2017 war ich in der Abfahrt Zwölfter und in der Kombi-Abfahrt Dritter. Bei Olympia 2018 war ich Abfahrts-Fünfter und Schnellster in der Kombi-Abfahrt. Deshalb mache ich mir keine Sorgen, dass ich bei Großereignissen nicht performe.
Interview: Elisabeth Schlammerl