Meribel – Wenn sich die beste Skirennläuferin der Welt vor ihren beiden wichtigsten Rennen der Saison Knall auf Fall von ihrem Cheftrainer trennt, dann sorgt das zwangsläufig für Spekulationen. Was ist vorgefallen? Doch darüber, was Mikaela Shiffrin nun während der alpinen Ski-WM in Frankreich dazu bewogen hat, die Zusammenarbeit mit Mike Day zu beenden, gab es zunächst keine offizielle Erklärung. Kein allzu großes Geheimnis ist allerdings, dass es mit ihrer Mutter Eileen zu tun haben könnte.
So oder so: Es war eine faustdicke Überraschung, als Shiffrin (27) vor dem Riesenslalom an diesem Donnerstag und dem Slalom am Samstag, in denen sie jeweils als Favoritin auf Gold antreten wird, mitteilte: „Ich habe mich entschieden, mit einer neuen Führung in meinem Team in die nächste Phase meiner Karriere zu gehen.“ Im Nachgang, man hätte es im Shiffrin-Beben fast übersehen können, erklärte auch der US-Ski- und Snowboard-Verband die langjährige Zusammenarbeit mit Day für beendet.
Aus dem amerikanischen Team, in dem Ski-Königin Shiffrin eine Art Staat im Staate unterhält, war zur Sache zu hören, dass die Ausnahmekönnerin eine neue Herausforderung sucht und die siebenjährige Zusammenarbeit mit Day daher nach der Saison beenden wollte. Das aber sorgte auf der Gegenseite wohl für entscheidende Verstimmungen. Day mochte so lange wohl nicht mehr weitermachen: Er soll den Schlussstrich sofort gezogen und sich bereits am Dienstag auf den Weg nach Hause gemacht haben. Wie auch immer: Es ist ein Paukenschlag.
Day hatte seit 2016 mehr oder weniger als ständiger Cheftrainer für Shiffrin gearbeitet. Allerdings ist auch bekannt, dass in dem kleinen Team so ziemlich gar nichts ohne Shiffrins Mutter geht. Oder anders gesprochen: Eileen Shiffrin hat das unbestrittene Sagen – auch in sportlichen Fragen. Sie begleitet ihre Tochter regelmäßig im Weltcup, vor allem seit dem Tod von Shiffrins Vater Jeff vor drei Jahren. Der ehemalige Rennläufer und US-Verbandschef Tiger Shaw sagte einst dem Magazin „New Yorker“ ziemlich vielsagend: Das Erste, was es bei einer Zusammenarbeit mit Shiffrin zu erkennen gelte, sei: „Eileen ist der Coach.“ Dies hat schon früher zu Knatsch mit Trainern geführt.
Scheinbar gab es in den vergangenen Tagen jetzt auch Differenzen mit Day. Nach ihrem spektakulären Ausscheiden in der Kombination und dem Gewinn von Silber im Super-G, ihrer zwölften WM-Medaille, hatte Shiffrin auf die Abfahrt sowie die Parallel-Wettbewerbe im Team und am Mittwoch im Einzel verzichtet. Sie zog sich stattdessen in ein Trainingslager abseits der beiden WM-Orte Meribel und Courchevel zurück. Es-Skikönigin und Landsfrau Lindsey Vonn kann sich zumindest von der sportlichen Seite in die Situation gut hineinversetzen. „Wenn du viel gewonnen hast und als Topfavorit zu so einem Großereignis gehst, dann stehst du im Mittelpunkt“, sagte sie, „dann stehst du immer unter Druck.“ Wobei Vonn – allerdings noch vor dem Trainerbeben – ihrer Erbin im amerikanischen Skiteam einen guten Ausklang der Titelkämpfe in Frankreich prophezeit. „Ich bin mir total sicher, dass Mikaela noch ihre Goldmedaille holen wird“, sagte sie im Gespräch mit unserer Zeitung, „ich denke allerdings, dass die Chance für sie im Riesenslalom momentan größer ist.“ Der steht bei der WM schon am Donnerstag an. Um 10 Uhr und 13.30 Uhr wird der vorletzte Medaillensatz der Frauen in Meribel vergeben. Der letzte wartet dann am Samstag mit dem abschließenden Slalom.
Egal wie es am Ende tatsächlich laufen wird – am Grundsätzlichen wird es nichts ändern: Shiffrin (27) befindet sich mitten in einer Rekordsaison. Nach den Olympischen Spielen in Peking, wo sie ohne Medaille geblieben war, gewann sie in diesem Winter bereits elf Weltcup-Rennen. Nur ein Sieg fehlt ihr noch, um die ewige Bestmarke des Schweden Ingemar Stenmark (86) zu übertrumpfen. sid/rp