„Kritik habe ich abperlen lassen“

von Redaktion

Skisprung-Coach Stefan Horngacher über die Saison, Favorit Wellinger und die WM in Planica

München – Grund zur Freude für Stefan Horngacher: Allen vier deutschen Männern gelang die Qualifikation für das Springen auf der Normalschanze. Es war ein beruhigender Freitagabend, an dem Karl Geiger starker Vierter wurde, im bislang schwersten Winter für Horngacher (53), seit er vor bald vier Jahren deutscher Cheftrainer wurde. Pünktlich zur WM ist aber das Selbstvertrauen zurückgekehrt, wie er auch im Interview erklärte.

Herr Horngacher, vor der Abreise nach Planica zog es Sie noch einmal in den Schwarzwald. Fühlen Sie sich eigentlich noch als Österreicher?

(lacht) Gute Frage. Puh, ja, eigentlich schon. Ich bin gerne Österreicher. Aber ich wohne auch gerne im Schwarzwald, ich bin ja schon seit 15 Jahren da. In Polen habe ich mal gesagt: Ich fühle mich als Europäer. Weil ich mich an vielen Orten zurechtfinden kann.

Sie sagten einmal, dabei hilft auch die Musik. Ist Ihre Gitarre auch in Planica mit von der Partie?

(lacht) Natürlich. Die ist auf dem Rücksitz mitgereist. Sie ist eigentlich nur bei Flugreisen nicht dabei. Da ist das ein bisschen schwierig.

Das Liedgut dürfte sich sich in den letzten Wochen geändert haben…

Ach, nein, so weit geht es bei mir dann doch nicht. Aber ich muss zugeben, dass ich mich jetzt deutlich besser fühle als früher in der Saison. Wir waren ja nicht unbedingt schlecht, aber wir haben niemanden in der absoluten Spitze gehabt. Das hat ein bisschen gedauert, bis wir uns adaptiert hatten.

Nach der Vierschanzentournee sprachen Sie von der schwierigsten Phase Ihres Trainerlebens.

Das war auch so. Ich bin jetzt sieben Jahre Cheftrainer und habe eigentlich immer etwas produziert. Jetzt war das plötzlich anders. Aber in so einer Situation hast du zwei Möglichkeiten. Da kannst du sagen: Sch…, warum geht das nicht besser? Oder du siehst das als etwas Gutes. Als eine Chance, als eine Herausforderung. Das habe ich gemacht.

Wie schwer war es, mit dem Druck umzugehen?

Ach, Druck hast du immer, aber den machst du dir vor allem selber. Was da von außen gekommen ist, das habe ich an mir abperlen lassen.

Vonseiten des DSV kam nichts?

Überhaupt nichts. Dort hat man mir den Rücken gestärkt. Die Verantwortlichen haben natürlich auch gesehen, dass es nicht gut gelaufen ist. Aber du musst in solchen Momenten ruhig bleiben und an den richtigen Schrauben drehen. Gegebenenfalls auch mal einen Springer zum Training rausnehmen, wie wir es mit Karl Geiger gemacht haben. Es wäre das Schlimmste, wenn du in der Situation alles umwirfst.

Zweifel hatten Sie selbst nie?

Überhaupt nicht. Zumal man auch sehen muss: Die am Anfang dominanten Nationen hatten im Grunde auch nur einen Mann vorne drin. Kubacki bei den Polen zum Beispiel. Dahinter vielleicht Zyla. Alle anderen, wie Stoch, waren auch schon weiter weg. Uns hat am Ende der Spitzenmann gefehlt. Wenn Andi Wellinger etwa schon bei der Tournee vorne reingesprungen wäre, wäre das ein ganz anderes Bild gewesen.

Den Topmann scheinen Sie nun zu haben. Ihr slowenischer Kollege Robert Hrgota sah dieser Tage sechs Topfavoriten für die WM – darunter Andreas Wellinger.

Da hat der slowenische Kollege meiner Ansicht nach Recht. Ich sehe ihn auch ganz klar als einen Mitfavoriten.

Es ist selten, dass Springer nach schweren Verletzungen wieder in die Spitze kommen. Bei ihm scheint es zu klappen.

Das ist unheimlich schwer, das stimmt. Aus dem Stegreif fällt mir da kein anderer ein. Beim Andi hat es im Sommer schon sehr gut ausgeschaut. Er war fleißig, hat sehr gut trainiert und den Ton vorgegeben. Aber dann hat er es nicht so ganz in den Wettkampf reingebracht. Das ist natürlich unheimlich schwer, wenn man seit 2017 nichts in die Ergebnislisten gebracht hat. Da brauchst du dann vielleicht auch mal das Erfolgserlebnis, dass du die letzte Überzeugung bekommst. Am Kulm war er dann schon ganz nahe dran. Hat die Qualifikation gewonnen und ist im Wettkampf dann halt doch wieder Vierter geworden. Erst in Lake Placid hat er dann so richtig durchgezogen. Rasnov muss man natürlich mit anderen Maßstäben sehen, aber Siege bringen dich immer weiter.

Der Führungsspringer war in den letzten Wintern Karl Geiger, der auch eine schwierige Saison erlebt. Könnte es ihm guttun, dass er zur Abwechslung nicht in der ersten Reihe steht?

Definitiv. Der Karl war jetzt vier Jahre der, der die Kohlen aus dem Feuer holen musste. Da stellt sich schon eine gewisse Müdigkeit ein. Er tritt in Planica mit dem Wissen an, dass er etwas holen kann, aber nicht muss. Wobei man auch ganz klar sagen muss: Es fehlt nicht viel – er ist ganz nahe dran an seinen Topsprüngen. In letzter Konsequenz fehlt halt immer irgendeine Kleinigkeit. Bei Markus Eisenbichler ist es ähnlich. Du hast bei einer WM immer die Topfavoriten und die große Unbekannte, die da mit reinfliegen kann. In der Gruppe sehe ich die beiden auch.

Welche Rolle spielt der Faktor Material? Vor allem nach dem 161m-Flug von Timi Zajc in Willingen sind die Diskussionen über die Anzüge aufgekommen.

Es gibt ein paar, die sich mit der neuen Vermessung einen Vorteil verschafft haben. Darum ging es, das auszugleichen. Da haben wir auch an ein paar Dingen gearbeitet.

Ist es gelungen? Sehen Sie sich vor der WM auf Augenhöhe?

Klare Antwort: Ja. Wenn du einen großen Materialnach-teil hast, dann kannst du nicht in Lake Placid gewinnen.

Die FIS hatte vor der Saison erklärt, dass Spielräume durch das Reglement so eingeengt wurden, dass Material kein Faktor ist. Hat die Realität den Verband überholt?

Die Spielräume bei einem Anzug sind immer groß. Aber nicht nur da. Ski, Bindung – beim Material kannst du überall ansetzen. Und wir reden ja nicht über riesige Unterschiede, aber kleine Veränderungen können im Skispringen große Wirkung haben. Das ist einfach so und das wird wahrscheinlich auch immer so sein.

Wie sehen Sie die WM-Schanzen? Die große soll der Anlage in Peking ähneln, mit der ihr Team weitgehend fremdelte. Kein gutes Omen …

(lacht) Das weiß ich nicht. Dafür liegt uns die kleine Schanze sehr gut. Die ist dem Andi Wellinger wie auf den Leib geschneidert. Die Große ist Peking tatsächlich sehr ähnlich. Ob das eine Rolle spielt, wird man sehen. Man muss schon auch sehen, dass die Anlage in Peking auf 1700 Meter Höhe lag. Das spielt schon eine große Rolle.

Mit welchen Zielen gehen Sie in die WM?

Wenn man realistisch drüber nachdenkt, ist eine Medaille auf jeden Fall möglich. Es ist gut für uns, dass es auf der kleinen Schanze losgeht. Da haben wir glaube ich die besten Chancen. Und klar, wenn es auf der kleinen aufgeht, dann kannst du schnell auf eine Welle kommen und es klappt auf der Großen auch. Markus Eisenbichler hat dort zum Beispiel sehr gute Sprünge gemacht. Allerdings fürchte ich, dass die Konkurrenz da sehr stark ist. Die Slowenen werden gut sein, die trainieren Tag und Nacht auf der Anlage. Dawid Kubacki liegt die große Schanze, das weiß ich, ich war selbst einige Male mit ihm dort. Auch die Norweger sind da stark. Aber dafür haben wir auch noch das Mixed und den Teamwettbewerb, wo etwas drin ist. Wenn das klappt, wäre das super. Aber wenn nicht – wir haben auch danach Ziele.

Interview: Patrick Reichelt

Artikel 2 von 11