Die Wichtigkeit einer Partie lässt sich beim FC Bayern in den Stunden vor Anpfiff ablesen. Während die Spieler sich einschwören, herrscht vor der Allianz Arena Chaos; mal weniger, mal mehr – oder so wie gestern: heillos! Am Stau vor der Allianz Arena – zehn Kilometer aus der Innenstadt können da schon mal knapp zwei Stunden dauern – merkt man genau, ob da ein schnödes Bundesliga-Spiel ansteht oder eben eines, das der FC Bayern lieber unter keinen Umständen verlieren sollte. Das „Stau-O-Meter“ vor dem Rückspiel gegen PSG war eindeutig, aber das 2:0, der Sprung ins Viertelfinale, auch.
Julian Nagelsmann und sein Team haben mit den Problemen der normalen Fußballfans wenig zu tun, ihr Bus fährt im Polizei-Konvoi. Der Coach aber war sich auch ohne den ultimativen Stau-Beweis seit Wochen bewusst, dass diese Partie nicht nur seine bisher wichtigste an der Seitenlinie des FC Bayern sein, sondern auch großen Einfluss auf die Gesamtbetrachtung seines Wirkens haben würde. Auch wenn das Wort „Schicksalsspiel“ offiziell verboten war und die Herren aus den oberen Etagen sich mit verbalem Druckaufbau zurückhielten, war allen klar, dass ein weiteres frühes Aus in der Königsklasse nicht mit einem „Weiter so“ abmoderiert werden könnte. Es wäre ums Grundsätzliche gegangen, natürlich auch um Nagelsmann selbst. So aber darf man dem Coach zur bestandenen Reifeprüfung gratulieren.
Dass ein 1:0-Polster aus dem Hinspiel kein Freifahrtschein, musste Dortmund erfahren. Der Branchenprimus machten es – mal wieder – abgezockter. Was da gestern in der Allianz Arena zu sehen war, durfte man schon als Ergebnis der Krisenauswertung verstehen, die in den vergangenen Wochen an der Säbener Straße hinter geschlossenen Türen stattgefunden hat. 75 000 Zuschauer sahen ein Team, das eine Ansammlung an Stars ist, aber im Kollektiv agierte; einen Trainer, der ohne Rücksicht auf Eitelkeiten auf seinen ausgeklügelten Matchplan setzte; kurzum: ein aktuell funktionierendes Gesamtkonstrukt, das der Milliardentruppe von PSG die richtige Antwort geben konnte und hochverdient ein Duell gewann, das auch das Finale hätte sein können.
Der Weg bis Istanbul ist noch vier Spiele lang, aber er ist den Bayern trotz aller Turbulenzen der wilden Saison zuzutrauen. Um beim Stau zu bleiben: Wenn’s schleppend vorangeht – warum nicht auf die Überholspur wechseln?
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