Der Pitbull geht auf Beutejagd

von Redaktion

Tina Rupprecht steht vor dem Kampf ihres Lebens – die Gegnerin in Fresno hat es in sich

VON GÜNTER KLEIN

Fresno/Augsburg – Sonntag, 4 Uhr morgens – eine solche Zeitangabe setzt bei älteren Menschen Erzählketten in Gang: Früher, als ich fürs Boxen aufgestanden bin. Der Klassiker: für die Übertragung eines Weltmeisterschaftskampfs mit Muhammad Ali. Lange her. Jahrzehnte.

Diesen Sonntag ist 4 Uhr noch brutaler, denn kurz zuvor wird die Uhr eine Stunde vorgestellt auf Mitteleuropäische Sommerzeit. Der innere Chronometer wird also 3 Uhr sagen. Doch beim Bayerischen Fernsehen hofft man auf Box-Kundschaft, die sich nächtens erhebt. Der BR überträgt im Livestream einen Fight aus den USA – einen für die bayerische Zielgruppe: Die Augsburgerin Tina Rupprecht steigt in der kalifornischen Stadt Fresno – heiß und nicht sehr schön – in den Ring. Es wird der Kampf ihres Lebens sein. Großer Rahmen: die Save Mart Arena. Es werden 16 000 Menschen erwartet. Und eine ganz große Gegnerin: Seniesa Estrada (30), Weltmeisterin des Verbandes WBA, 23 Kämpfe, 23 Siege, K.o.-Quote 39 Prozent, was viel ist für eine Klasse, deren Namen einen erst mal schmunzeln lässt: Minimum-Gewicht. Bis 47,5 Kilogramm. Es gibt nichts Leichteres. Aber auch kaum etwas Schnelleres.

Tina Rupprecht ist 30 und Lehrerin von Beruf. Sie unterrichtet Sport an der Realschule Zusmarshausen, in Teilzeit, an zwei Tagen die Woche. Daneben ist sie Boxprofi, seit 2013. In ihren zehn Jahren sind aber nur 13 Kämpfe zustande gekommen. Es ist schwer, Gegnerinnen zu finden, die meisten hat sie beherrscht, unter 123 lizenzierten Faustkämpferinnen im Minimum-Gewicht weltweit ist sie die Nummer drei. Sie hat auch einen Weltmeistergürtel, den des WBC. In Fresno gibt es nun einen Titelvereinigungskampf. Bislang hat Tina Rupprecht in ihre Karriere investieren müssen, nun verdient sie auch mal was. Ein besonderer Anlass. Sie gab sogar eigens eine Pressekonferenz im Augsburger Kurhaustheater, einem spektakulären Jugendstil-Juwel.

Sie hatte schon den Münchner Alexander Petkovic als Promoter, boxte auf dessen relativ großen Veranstaltungen im Unterschleißheimer Ballhausforum. Jetzt steht sie beim Hamburger Benedikt Pölchau und „Blanko Sports“ unter Vertrag. Doch ihre Basis ist Augsburg und ihr Trainer Alexander Haan. Der schuf in der Stadt eine Boxszene, als er in einem ehemaligen Kino den „1. Boxclub Haan“ eröffnete. Und als er in einem anderen Stadtteil einen weiteren aufmachte, nannte er ihn „2. Boxclub Haan“. Haan und Rupprecht sind ein eingespieltes Team, vor einer Woche reisten sie zur Akklimatisierung in die USA. Zuvor hatte Rupprecht noch im Bayerischen Wald trainiert – bei Konditionsguru Sepp Maurer, der auch zum Team von Ex-Weltmeister Robin Krasniqi gehört.

Boxende führen üblicherweise noch einen Alias-Namen, der von Rupprecht lautet „Tiny Tina“, die kleine Tina. Alexander Haan räumt ein, „dass ich sie nicht ernst genommen habe, als sie zu mir kam“, mittlerweile würde er ihr auch einen anderen Namen verpassen, wenn er über die Kampftaktik redet: „Sie muss wie ein Pitbull sein, das Fleisch nicht mehr loslassen, bis es zu Ende ist.“ Seine Kämpferin sieht er „zu 110 Prozent fit“, Gegnerin Estrada allerdings „zu 120 Prozent überzeugt, dass sie mit jedem Schlag eine Kontrahentin ausknocken kann“.

Frauenboxen ist populär in den USA und in Mexiko, wo Seniesa Estrada ihre Wurzeln hat. Der letzte Versuch, einer deutschen Kämpferin, sich in Amerika zu behaupten, scheiterte: Christina Hammer, die im Supermittelgewicht antritt und auch aufgrund ihrer Model-Auftritte die bekannteste deutsche Boxerin ist, war 2019 gegen Clarissa Shields völlig chancenlos. Auch im Fall Estrada – Rupprecht sind die Rollen im Vorfeld verteilt. Aber vielleicht liegt in der Wahrnehmung der amerikanischen Favoritin die Chance für die Augsburger Außenseiterin. Alexander Haan hat Estrada durchanalysiert, und Tina Rupprecht meint: „Ich weiß, was mich erwartet, aber sie weiß nicht, was sie erwartet.“

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