Warum Nagelsmann gehen musste

von Redaktion

Fehlende Konstanz, kaum Weiterentwicklung und zu wenig Disziplin

VON MANUEL BONKE UND PHILIPP KESSLER

München – Das Trainerbeben beim FC Bayern hat Fußball-Europa erschüttert, die Schockwellen waren auch in Frankfurt deutlich zu spüren. Bundestrainer Hansi Flick war „sehr, sehr überrascht“ vom Aus seines Münchner Nachfolgers Julian Nagelsmann, dessen wichtigster Spieler Joshua Kimmich wirkte betroffen vom vorzeitigen Ende des „Langzeitprojekts“, auf das eine neue Ära unter Thomas Tuchel folgen soll. „Ich kann nur sagen, dass Julian Nagelsmann ein überragender Trainer ist“, sagte Kimmich am DFB-Campus. „Ich hatte schon sehr viele Trainer, sehr viele Top-Trainer. Er ist locker Top drei.“

Und doch ist er gescheitert. Als Kimmich am Freitag sprach, hatten die Bosse an der Säbener Straße längst den Daumen gesenkt. Nagelsmann sollte das Aus nach nur 631 Tagen in der Klubzentrale persönlich mitgeteilt werden, er fuhr um kurz nach 15.00 Uhr vor. Da stand sein Abschied längst überall in den Zeitungen und im Netz – inklusive Nachfolgeregelung. Die Gründe für den Nagelsmann-K.o. sind vielfältig

Keine Konstanz: Der Rekordmeister zeigte zwei Gesichter. Einerseits holten die Münchner acht Siege aus acht Spielen in der Champions League. Andererseits verspielte die Mannschaft in der Bundesliga neun Punkte Vorsprung auf Dortmund und gab die Tabellenführung ab. Die Bayern-Bosse waren angesichts der mageren Punkte-Ausbeute 2023 äußerst besorgt.

Tendenz: Die bisherigen Spiele in diesem Jahr waren größtenteils – abgesehen von den Auftritten in der Königsklasse gegen Paris Saint-Germain (2:0, 1:0) – nicht Bayern-like. Angefangen bei den drei Unentschieden nach der WM-Pause waren vor allem die letzten Partien aus Sicht der Führungsetage nicht ausreichend: Knapper 2:1-Sieg in Stuttgart nach hektischer Schlussphase und souveräner Führung, chaotischer 5:3-Sieg gegen Augsburg nach Blitz-Gegentor sowie das 1:2 gegen Leverkusen. Die Partie bei Bayer wurde intern als schlechtester Auftritt aller Zeiten gesehen.

Kein Spieler in Top-Form: Die Bosse sahen unter Nagelsmann zu wenig Entwicklung. Kein Spieler ist in Top-Form, der Ex-Coach hat keinen Star wirklich besser gemacht. Nagelsmann habe den besten Bayern-Kader aller Zeiten zur Verfügung gehabt, heißt es im Verein, aber aus dessen Potential zu wenig herausgeholt. Die Mannschaft bat ihn sogar, einfacher und nicht mehr so kompliziert trainieren zu lassen. Ein Signal, dass Nagelsmann etwas von seiner Idee abrücken und seine Spielweise mehr auf die Qualitäten seiner Profis ausrichten müsse. „Der Trainer hat die Kabine verloren“ – das ist von jeher das klassische Trennungsmotiv, vor allem im Münchner „Haifischbecken“. So ging es Carlo Ancelotti oder Niko Kovac – und jetzt Nagelsmann.

Zu wenig Disziplin: Nagelsmann wurde auch die große Undiszipliniertheit innerhalb der Mannschaft vorgeworfen. Erst nach dem Sieg in Paris wurde den Stars seit Jahren wieder ein offizieller Strafenkatalog präsentiert. Ausgearbeitet wurde dieser von Teampsychologe Maximilian Pelka (34) und Teammanagerin Kathleen Krüger (37). Aufgrund seiner Erfahrung mit den Superstars von PSG und dem Champions-League-Sieg mit Chelsea sind die Bosse davon überzeugt, dass Tuchel mit den Bayern-Stars besser umgehen kann (siehe Text auf Seite 28).

Schlechte Außendarstellung: Nagelsmann bot viel Angriffsfläche. Einerseits wegen seines extrovertierten Verhaltens, andererseits wegen seinen Äußerungen, mit denen er häufig Unruhe in den Verein brachte. Bestes Beispiel: Nach der 2:3-Niederlage in Mönchengladbach bezeichnete er das Schiedsrichtergespann als „weichgespültes Pack“. Dass Nagelsmann während der Länderspielpause nicht am Vereinsgelände arbeitete, sondern mit seiner Freundin in Österreich (Zillertal) beim Skifahren war, wurde ebenso kritisch gesehen.

Abfindung: Gehalt wird Nagelsmann laut „Bild“ weiterhin bekommen. Bis zum Sommer kassiert er die noch ausstehenden drei von insgesamt circa acht Millionen Euro Jahresgehalt. Im Anschluss soll Nagelsmann dann noch 50 Prozent – also 12. Millionen – des restlichen Gehalts erhalten, was ihm bis Vertragsende zugestanden hätte.

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