Vor zehn Jahren floh Reem Khamis (20) mit ihrer Familie aus Ägypten nach Deutschland. Khamis räumte bei den Deutschen Karate-Meisterschaften ab, absolvierte ihr Abitur mit 1,4 und studiert nun Maschinenbau. Bei der Karate-Europameisterschaft in Spanien gewann die Hamburgerin zwei Gold-Medaillen. Im Interview mit unserer Zeitung spricht Khamis über den Weg zum Erfolg.
Reem Khamis, Doppel-Europameisterin, wie klingt das für Sie?
Unbeschreiblich. Es ist noch nicht ganz zu fassen. Man muss auch sagen, dass es ein steiniger Weg war. Ich habe das Finale bei der Europameisterschaft und Weltmeisterschaft schon mal erreicht, aber nie gewonnen. Es war immer ein kleiner Schritt bis ganz nach oben, der noch gefehlt hat. Jetzt ist der Knoten geplatzt. Das war definitiv eine Erleichterung.
Sie sind mit elf Jahren mit Ihrer Familie aus Ägypten vor dem Mubarak-Regime geflohen. Wie präsent sind die Erinnerungen daran noch?
Man hat schon gespürt, dass irgendetwas nicht stimmt. Meine Mutter hat uns aber immer die Sicherheit gegeben, dass uns nichts passiert. Deswegen konnte man die Umstände auch verdrängen. Dieses Jahr war ich auf einem Turnier in Kairo, ich habe mich sofort wieder zu Hause gefühlt. Ich habe meine Kindheit in Ägypten verbracht und natürlich noch viele Erinnerungen. Es ist einfach eine ganz bestimmte Atmosphäre, die sich eingeprägt hat und die man ab und zu auch vermisst. Daher freue ich mich immer darüber, wenn ich wieder nach Ägypten reisen kann.
Wie sehr hat Karate geholfen, das Ankommen in Deutschland zu erleichtern?
Sport war ein Anhaltspunkt für mich, um mich in eine komplett neue Gesellschaft zu integrieren. In meinem ersten Jahr in Deutschland habe ich gar keinen Sport gemacht. Ich habe mich nicht getraut, einen Verein aufzusuchen, ohne ein Wort Deutsch zu sprechen. Im Verein habe ich dann gemerkt, dass es auch andere Jugendliche gibt, die sich genauso mit Karate identifizieren wie ich. Das verbindet.
In Deutschland haben Sie bei Deutschen Meisterschaften abgeräumt, durften aufgrund der fehlenden Staatsbürgerschaft aber lange nicht international starten.
2017 bin ich das erste Mal Deutsche Meisterin geworden. Da habe ich einen Antrieb bekommen, mich auch international zu messen. Mich hat es genervt und ausgebremst, dass ich das lange nicht konnte. Es war mental sehr schwierig, immer zu trainieren, alles zu geben – aber nicht die Möglichkeit zu bekommen, sich weiter zu entfalten. Für einen kurzen Zeitpunkt habe ich sogar darüber nachgedacht, aufzuhören. Es gab keine Möglichkeit mehr für mich, mich zu verbessern. Die Deutsche Meisterschaft war die Grenze. Darüber hinaus war auch alles möglich, aber nur nicht für mich. Mitte 2021 ging es dann aber schnell, ich wurde innerhalb von ein paar Wochen eingebürgert. Und dann hat das Ganze einen sehr guten Verlauf genommen, würde ich behaupten (lacht).
Wie sehr hilft es, mit Jonathan Horne einen ehemaligen Weltklasse-Karateka als Trainer zu haben?
Das ist sehr verrückt. Jonny und die ganzen Kaderathleten waren für mich immer Vorbilder. Ich hätte mir nie erträumt, dass ich mit ihnen mal zusammen auf der Matte stehe und um Medaillen kämpfe. Das schien immer so weit weg. Von Jonnys Erfahrungen kann ich nur profitieren. Ich freue mich drauf, den Weg mit ihm weiter zu gehen, um hoffentlich konstant in der Weltspitze zu bleiben.
Interview: Nico-Marius Schmitz