München – Besteht eigentlich noch eine Verbindung zwischen dem EHC München und seinem seit Anfang September 2022 suspendierten Spieler Yannic Seidenberg? In der Mannschaftskabine ist der Platz mit der Nummer 36 verschwunden – aber das hat seinen Grund darin, dass der Verteidiger auch am Trainingsbetrieb nicht teilnehmen darf. Er muss gerade selbst zusehen, wie er sich fit hält.
Gerissen sind die Bande dennoch nicht. Neulich, zum fünften Viertelfinalspiel des EHC gegen Bremerhaven, war Yannic Seidenbergs Familie (Frau, drei Kinder) in der Münchner Olympia-Eishalle. Auf der Rückseite der Jacken, die der Nachwuchs trug, stand „Seids“, der Spitzname des Vaters. Die Seidenbergs verstecken sich nicht, sie zeigen nach wie vor, wer sie sind. Trotz der Dopinggeschichte um Yannic.
Der Fall bestimmte vor sieben Monaten die Eishockey-Nachrichtenlage kurz vor Saisonbeginn: Yannic Seidenberg, einer der deutschen Olympia-Silber-Helden von 2018, mutmaßlich gedopt, eine Kontrolle hatte Auffälligkeiten gezeigt. In der Folge wurde vor allem geschwiegen – seitens der Nationalen Anti-Doping-Agentur NADA, in deren Auftrag Tests vorgenommen wurden, seitens Deutschem Eishockey-Bund (DEB) und EHC München. Auch Yannic Seidenberg machte dicht, beauftragte den Hannoveraner Sportrechtler Professor Rainer Cherkeh mit der juristischen Vertretung. Alle Seiten verweisen auf das „schwebende Verfahren“.
Dank der ARD-Radio-Recherche Sport weiß man nun etwas mehr in diesem Fall. Nämlich: In Seidenbergs Körper wurden Testosteron und das Hormon DHEA gefunden. Die NADA will den mittlerweile 39-Jährigen für vier Jahre aus dem Verkehr ziehen, der wehrt sich mit der Begründung, sein Arzt aus Baden-Württemberg sei verantwortlich. Der sei klar angewiesen gewesen, bei Verschreibungen auf die Einhaltung der Dopingregeln zu achten. Die Medikamente wiederum habe er aus medizinischen Gründen benötigt. Seidenberg und NADA werden sich nun wohl vor dem in Berlin ansässigen Deutschen Sportschiedsgericht treffen. Einen Termin dafür gibt es aber noch nicht.
Ist Seidenberg nun das Opfer eines Arztes, dem er vertraut hatte? Solche Fälle gibt es; Alois Schloder etwa, eine deutsche Eishockey-Legende, hatte bei den Olympischen Spielen 1972 vom Teamarzt etwas verschrieben bekommen, was zu einer positiven Dopingprobe führte – später wurde Schloder vollständig rehabiliert.
Oder ist Yannic Seidenberg der klassische Fall eines Sportlers, der bei der Optimierung der körperlichen Voraussetzungen nachgeholfen und vielleicht auch ganz einfach versucht hat, die Karriere so lange wie möglich auszudehnen?
Wer Seidenbergs Karriere über Jahr(zehnt)e verfolgt, sieht einen vor allem spielintelligenten Akteur, der vor einiger Zeit ohne Probleme von Stürmer auf Verteidiger umschulte. Der sich allerdings auch physisch zu behaupten weiß – trotz der fürs Eishockey geringen Größe von 1,72 Metern. Er ist ein Kraftpaket, in den Sommern trainierte er mit seinem Bruder Dennis, einem früheren NHL-Star (Stanley-Cup-Gewinner) mit einem Personal Coach in den USA, in Hochform kann/konnte er einen Liegestütz drei Minuten lang halten. Als Yannic Seidenberg 2019 sich für den jährlichen Fototermin seines Clubs bereitmachte und von einem Mitarbeiter nach der Poloshirt-Größe gefragt wurde, sagte er: „M – aber an den Oberarmen XXL“ und lachte. Austrainiert zu sein war sein Markenzeichen.
Allerdings kann gerade im Kraft- und Kraftausdauerbereich nachgeholfen werden. Interessant in diesem Zusammenhang ist das Hormon DHEA. Es gilt derzeit als Wundermittel gegen das Altern (Anti-Aging), laut „Deutsche Apotheker Zeitung“ wird es Bodybuildern ab 35 empfohlen, „weil es körperlich und geistig jünger machen soll“; Wirkung soll es zudem gegen das chronische Müdigkeitssyndrom erzielen. In München gibt es ein Kinderwunsch- und Hormonzentrum, das auf DHEA setzt. In Deutschland gilt DHEA als „nicht verkehrsfähig“, darf auf ärztliche Verordnung aber importiert werden.
Welche Rolle spielt Seidenbergs Arzt, ein 62-Jähriger mit – wie man hört – dem Ruf, nicht unumstritten zu sein? Klar ist: Leicht abschieben lässt sich Verantwortung in einem Dopingfall in heutigen Zeiten nicht mehr. Der Athlet ist dafür verantwortlich, was in seinen Körper gelangt. Und es gilt die Beweislastumkehr: Der Sportler muss den Nachweis erbringen, nicht willentlich und wissentlich manipuliert zu haben. Schwer. Und eine komplette Saison hat Seidenberg schon verloren.