Ein Wunder – und viel Investment

von Redaktion

Warum Borussia Dortmund auf dem Weg zur Meisterschaft auf einmal unaufhaltsam wirkt

VON GÜNTER KLEIN

Augsburg – Der Tross von Borussia Dortmund war am Sonntagabend ein wenig in Eile. Nicht zu lange wollte er sich im Augsburger Stadion aufhalten, obwohl sich dieser Ort nach dem 3:0-Sieg beim örtlichen FCA so wundervoll anfühlte und sich eine gelbe Wand wie daheim auch hier aufgebaut hatte. Doch es ging nach dem Abpfiff auch um die bestmögliche Regeneration. Schnell brach der BVB zum kleinen Augsburger Flughafen auf, um noch in Dortmund-Holzwickede landen zu können und nicht nach Paderborn zu müssen. Es soll nicht an irgendwelchen Kleinigkeiten und lässlichen Sünden scheitern, dass Borussia am Samstag erstmals nach 2012 wieder Deutscher Fußballmeister wird und den FC Bayern München entthront.

Man hat sich auf ein Vorgehen für diese Woche verständigt. Das Umfeld lässt der BVB laufen. Er kann „die Stadt, die Region“ (Sportdirektor Sebastian Kehl) nicht einbremsen, also sollen die Fans sich ausmalen dürfen, wie etwaige Feierlichkeiten am Samstag (und in diesem Falle nicht nur an diesem einen Tag) ablaufen werden. Sie sollen sich daran erinnern, wie es vor elf und zwölf Jahren, bei den letzten großen Titelfeierlichkeiten, auf dem Borsigplatz war. Ganz Dortmund wird dieser Tage kein anderes Thema kennen, doch das soll die Mannschaft nicht ablenken. „Die Stadt sorgt für die Emotionen, wir sorgen für den Fußball“, sagt Trainer Edin Terzic. Er legte auch gleich fest: „Es gibt keinen freien Tag diese Woche, wir bleiben fleißig.“

Klar: Der BVB will sich den Zwei-Punkte-Vorsprung, den er auf die Bayern herausgearbeitet hat, nicht mehr nehmen lassen. Die Aufgabenstellung: das Heimspiel gegen Mainz 05 gewinnen. Dann ist es egal, was München in Köln macht. Borussia Dortmund ist überzeugt, dass der letzte Schritt gelingen wird. Warum?

Die Haller-Story: Edin Terzic nennt sie „ein Wunder. Egal, was noch passiert: Das größte Wunder ist, dass Seb wieder bei uns ist.“ Im Sommer, im Trainingslager, war bei dem Stürmer Hodenkrebs festgestellt worden, Mannschaft und Verein standen unter Schock. Es ging ab diesem Moment nur um die Gesundung, die sportlichen Pläne, die man mit dem Ivorer hatte, wurden zurückgestellt. Die Behandlung war erfolgreich, die Saisonunterbrechung durch die WM führte dazu, dass schon ab dem 16. Spieltag am 22. Januar Haller wieder zur Verfügung stand. Im Heimspiel gegen Augsburg (4:3) wurde er eingewechselt, am 33. Spieltag in Augsburg hielt der 28-Jährige erstmals 90 Minuten durch und war mit zwei Toren auch noch der entscheidende Spieler. Terzic sagt: „Ich hoffe, er wird der Held der Saison.“

Die Geschichte um Haller hat aber nicht nur ihre mythische Seite, sondern auch eine sportfachliche. „Er war unser Rekordtransfer der Saison“, erinnert Terzic. 31 Millionen Euro überwies man an Ajax Amsterdam für Haller, der sich schon bei Eintracht Frankfurt (2017 bis 19) bewährt hatte. „Wir brauchten eine typische Nummer neun.“ Ersatz für Erling Haaland, auf den das BVB-Spiel zugeschnitten gewesen war. Der Spielertyp Haller fehlte, war vom eilig verpflichteten Kölner Anthony Modeste nicht zu ersetzen. Außerdem, so Terzic: „Wir haben seine positive Energie in der Kabine vermisst.“ Die ist nun zurück.

Haller wird regelmäßig auf seine körperliche Leistungsfähigkeit nach der Chemotherapie untersucht. Terzic: „Mit so einer Geschichte hatte niemand Erfahrung.“ Was der Coach festgestellt hat: „Seb macht seine Mitspieler besser. Die ansteigende Form von Donyell Malen und Karim Adeyemi ist mit ihm verbunden. Sie geben uns Meter, er gibt uns Sekunden.“

Die Terzic-Magie: Sebastien Haller meint grundsätzlich: „Es gibt keine Magie bei uns, nur Investment“, doch in Bezug auf den Trainer stimmt das nicht ganz. Der tief im BVB verwurzelte 40-Jährige erreicht Mannschaft und Umfeld, er kann Begeisterung transportieren. Seine Antrittsansprache, in der er in den Kategorien „hungrig sein, hart arbeiten, positiv sein, laut sein“ ein „Wie noch nie“ forderte, war die Ruckrede, die ein zunehmend frustrierter Club brauchte. Sehr speziell auch seine Motivationsrede für den 34. Spieltag: „Ab Sonntag können die Spieler sich alles kaufen: Auto, Uhr. Aber nicht diesen Moment, den wir erleben werden.“

Der Saisonverlauf: Die Krise und der Zweifel, die jede Mannschaft mal überkommen, hat der BVB hinter sich. Terzic: „Wir haben nicht jede Chance genutzt, aber es ist die Saison der Rückschläge – nach denen wir aufgestanden sind.“ Und hier stehe man nun – bereit für die Meisterschaft.

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