„Du erlebst die Belastung zum Quadrat“

von Redaktion

Bora-hansgrohe Teamchef Denk über den Giro-Dauerregen, Kapitän Kämna und das Finale

München – Er reiste mit seinem Bora-hansgrohe-Rennstall als Titelverteidiger zum Giro d‘Italia. Zu einer ähnlich dominanten Rolle reichte es für Ralph Denk (49) und seine Profis diesmal bislang nicht – zumal Topfahrer Alex Wlassow vorzeitig aussteigen musste. Doch Denk ist alles andere als unglücklich mit den schwer verregneten ersten Giro-Wochen.

Herr Denk, zwei Wochen lang haben Sie vor allem eines gesehen – Regen…

Ach, es ist ist jetzt nicht so schlimm. Gestern waren es zum Teil ja schon sehr gute Bedingungen. Jetzt sieht es auch nicht schlecht aus. Das wird schon. Ein paar Tage haben wir ja noch vor uns.

Welchen Einfluss haben denn Bedingungen wie im bisherigen Verlauf auf ein Rennen?

Auf das Rennen an sich eigentlich nicht viel. Die Taktik, mit der du an solche Etappen rangehst, ändert sich jetzt nicht wirklich. Da geht es um andere Dinge…

Zum Beispiel die individuelle Belastung?

Genau. Der Radsport ist ja ohnehin eine der härtesten Sportarten. Du bewegst dich fünf, sechs Stunden in Vollbelastung. Regen und Kälte ziehen dann natürlich noch einmal Energie aus dem Körper. Du erlebst die Belastung zum Quadrat. Wenn man an einen Hobbysportler denkt – wenn der 60 Kilometer bei solchen Bedingungen fährt, dann liegt er danach in der Badewanne. Bei uns fährst Du vielleicht 200 Kilometer. Und am nächsten Tag geht es von vorne los.

Kann man sich auf so etwas einstellen?

Du entwickelst natürlich gewisse Dinge mit den Ausrüstern. Wasserdichte Handschuhe, generell wasserdichte Schutzkleidung. Aber wirklich gut fühlt sich das natürlich trotzdem nicht an.

Alex Wlassow hatte vor zwei Wochen noch über das Fahren durch Italien geschwärmt…

Na ja, die italienischen Fans sind ja trotzdem etwas ganz Besonderes, sehr emotional. Das ist nicht wie im Fußball, wo immer eine Mannschaft ausgebuht wird. Die stehen am Berg und feuern auch noch den Letzten an. Das ist wahnsinnig schön.

Wlassow hat es nicht viel Glück gebracht. Er musste vorzeitig aufgeben.

Ja, das ist natürlich extrem schade.. Lennard Kämna liegt auf Platz sechs und vermutlich wäre Alex noch der etwas Stärkere gewesen. Da kann man sich vorstellen, was möglich gewesen wäre. Aber manchmal schaffen solche Dinge auch Raum für etwas Neues. Zum Beispiel eine Chance für die Helfer, die sonst nur sehr wenige Chancen bekommen. Dass es bei Nico Denz gleich für zwei Etappensiege gereicht hat, ist schön. Das ist super toll.

Allerdings nehmen Sie mit Ihrem Rennstall bei großen Rundfahrten inzwischen eher das Gesamtklassement ins Visier. Zum Giro haben Sie sogar gleich zwei Kapitäne entsandt. Nun bleibt Lennard Kämna, aber der fährt in der Betrachtung etwas unter dem Radar…

Das kann schon sein, ja. Aber da geben wir nicht so viel drauf. Klar ist der Ausfall von Alex schade, aber Lennard Kämna ist bis jetzt ein tolles Rennen gefahren und steht als Sechster da. Wir haben für ihn ja kein bestimmtes Ziel ausgegeben. Er hat überhaupt keinen Druck, er sollte sich an dieser Rolle einfach mal versuchen. Und wir sind super happy mit dem, wie er das gemacht hat.

Ihre Zwischenbilanz fällt also positiv aus?

Absolut positiv. Lennard ist Sechster, dazu haben wir zwei Tagessiege. Und es kommen ja noch Etappen, bevor es am Sonntag zu Ende geht. Wobei man sagen muss: Was am Donnerstag, Freitag und Samstag wartet, hat es schon in sich – das ist brutal schwer.

Gibt es einen Fahrer, dem Sie zutrauen, dort in die Rolle von Nico Denz zu schlüpfen?

Patrick Konrad mit seinen Kletterfähigkeiten würde ich das zutrauen. Er war am Dienstag schon nahe dran. Er kann sicher einen Tagessieg holen, wenn alles passt. Oder Lennard Kämna selbst. Ich wäre nicht überrascht. Er hat zuletzt ein bisschen geschwächelt. Aber er ist insgesamt gut drauf, warum sollte das nicht möglich sein? Zumal wir nicht weit von unserem Heimatgebiet sind. Da werden viele Fans für uns da sein.

Ganz vorne hat tatsächlich auch wieder Corona den Giro überschattet – allem voran mit dem Ausfall von Topfavorit Remco Evenepoel. Sind Sie überrascht?

Ehrlich gesagt, schon ein bisschen. Im ganzen letzten Jahr war Corona kein wirklicher Faktor mehr im Radsport. Insofern ist das für mich schon unerwartet gekommen. Aber wahrscheinlich sind wir da dann doch wieder beim schlechten Wetter. Bei solchen Bedingungen fängt man sich einfach leichter solche Infekte ein. Schade, aber damit muss man dann wohl einfach leben.

Wie sehen Sie die Entwicklung an der Spitze. Nun, vor den wohl entscheidenden Tagen?

Man hat am Dienstag gesehen, wer sich dort formiert. Leute wie Joao Almeida oder Geraint Thomas sind im Moment vielleicht ein kleines Stück besser. Kann gut sein, dass die den Gesamtsieg unter sich ausmachen. Aber wie gesagt, gerade die drei Etappen am Donnerstag, Freitag und Samstag sind schwer. Da kann sicherlich noch viel passieren. Ich bin sehr gespannt.

Interview: Patrick Reichelt

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