Millionenspiel für den Provinzclub

von Redaktion

Mini-Stadion im Wohngebiet, schlechter Ruf – Luton Town träumt von der Premiere League

VON JOHANNES OHR

Luton – Am Samstag setzt in England wieder eine kleine Völkerwanderung ein. Zehntausende Fans pilgern ins legendäre Wembley-Stadion in London, wo um 17.45 Uhr das laut englischen Medien „richest game in football“, das wertvollste Fußball-Spiel der Welt angepfiffen wird. So wird auf der Insel das Finale der Championship-Playoffs bezeichnet, in dem zwei Zweitligisten um das letzte verbliebene Aufstiegs-Ticket zur Premier League kämpfen. Dank Mehreinnahmen aus TV-Verträgen und Sponsoringerträgen darf sich der Sieger über eine fette Finanzspritze freuen. Bis zu 305 Millionen Euro fluten laut Berechnungen der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft „Deloitte“ die Kassen des siegreichen Klubs. Logisch, dass diese Summe das Schicksal eines Vereins schlagartig verändern kann.

In diesem Jahr gilt das aber umso mehr. Mit Luton Town und Coventry City duellieren sich heuer zwei Vereine, die noch nie (Luton) bzw. das letzte Mal vor 22 Jahren (Coventry) in der 1992 gegründeten Premier League vertreten waren. Die Augen der Beobachter richten sich dabei vor allem auf Luton. Denn dass beim Club aus der 200 000 Einwohner-Stadt nördlich von London, dem 2008 wegen finanzieller Probleme satte 30 Punkte abgezogen wurden und deshalb zwischendurch in den Amateur-Bereich abstürzte, künftig Stars wie Erling Haaland, Mo Salah oder Harry Kane auflaufen, mutet ziemlich bizarr an. Das liegt an der Heimstätte der „Hatters“ (Spitzname angelehnt an die frühere, lokale Strohhut-Industrie, Anm. d. Red.), die so gar nicht in die Schickimicki-Hochglanz-Welt der Premier League mit immer größeren und ultra-modernen Arenen passt. Das Kenilworth Road Stadium, das 1905 erbaut wurde, wäre mit offiziell 10 073 Sitzplätzen nicht nur das kleinste Stadion der Liga – sondern auch das puristischste. Unsere Zeitung war im Januar schon mal da und hat sich umgeschaut. Das „Kenny“, wie das Stadion von den Fans liebevoll genannt wird, liegt mitten in einem Wohngebiet. Die Eingänge am Drehkreuz sind so schmal, dass man sich schon als normalgebauter Mensch fast hindurchzwängen muss. Innen drin angekommen wirkt es, als blicke man in die Vergangenheit: So oder so ähnlich muss es früher in jedem englischen Stadion ausgesehen haben. Auf der Gegentribüne gibt es nur drei Sitzreihen. Die Haupttribüne ist aus Holz gebaut, im unteren Bereich mit spartanischen Plastiksitzen ohne Rückenlehne bestückt. Bequem geht anders. Und es ist eng. Wenn man dem Uringeruch zu den Toiletten folgt, muss man sich ducken, um sich nicht den Kopf zu stoßen. Schaut man sich um, geben einem die Werbetafeln einen letzten Hinweis, in welcher Welt man in Luton eigentlich angekommen ist – bei der Wahl zu den „Top 50 worst places to live in the UK“ holte die Stadt erst im Februar die wenig schmeichelhafte Goldmedaille.

Auf der Anzeigetafel wirbt eine Anwaltskanzlei, die sich auf Strafrecht spezialisiert hat. Auch „Master Chef“, ein indischer Lieferdienst („kick off with a curry“), und „La Bella Calabria – Italian Ristorante“ locken neue Kunden. Das Wellblechdach (mit Regenrinne!) darüber erinnert eher an einen alten Kuhstall als an ein Stadion. Keine Frage: Die Kenilworth road ist spartanisch, aber sie hat Flair. Hier lebt der echte Fußball noch – und man kann ihn förmlich riechen. Dem Rasen ist man auf der Haupttribüne so nah, dass einem sofort der Duft von frisch gemähtem Gras in die Nase steigt. Das eigentliche Highlight ist aber der Block für die Gäste-Fans. Das Tor zur Tribüne liegt zwischen einer Reihe von Ziegelhäusern versteckt. Nachdem man das Drehkreuz passiert, geht’s erst durch eine schmale Gasse, dann eine Treppe rauf und schließlich ins Stadion hinein. Unterwegs kann man den Nachbarn in die Gärten schauen…

„Die Atmosphäre in Sunderland war gut, aber die Stimmung im Kenny ist anders“, sagte Verteidiger Amari Bell vor dem gewonnenen Playoff-Halbfinale (2:0) gegen Sunderland. „Es ist viel enger und obwohl es ein kleineres Stadion ist, ist es für viele Mannschaften schwierig, wenn es voll ist. Wenn wir uns aufwärmen, schaut man sich um, und es gibt einem einen zusätzlichen Ansporn, wenn man weiß, dass wir es nicht nur für uns tun, sondern auch für unsere Fans.“ Nur: Für die Klub-Bosse wird das Stadion zum Problem. Sollte Luton tatsächlich den Aufstieg in die Premier League schaffen, müssen die Bagger anrollen. Kapazität, Plätze für TV-Produktionen, usw. – das Kenny erfüllt nicht die Mindeststandards der Liga.

„Wir müssen etwa 8 bis 10 Millionen Pfund für Verbesserungen ausgeben, was bedeutet, dass wir eine Tribüne in weniger als drei Monaten umbauen müssen, was eine ziemliche Aufgabe ist“, sagt Gary Sweet, Geschäftsführer von Luton Town.

Weil das Stadion aufgrund der eng bebauten Umgebung ohnehin nicht großartig erweiterbar ist, plant der Club schon seit den 1950er-Jahren einen Neubau. Seit 2019 hat Luton eine Baugenehmigung für ein neues Stadion im Stadtzentrum, nur weniger Kilometer vom aktuellen Standort entfernt. 23 000 Zuschauer sollen darin Platz finden. Das Bau-Budget beläuft sich auf rund 100 Millionen Pfund. Auch deshalb ist das Finale in Wembley für Luton so wichtig – mit einem Sieg wäre die neue Heimstätte praktisch finanziert. „Es ist eine ziemlich große Investition für den Fußball auf diesem Niveau und wird uns fest in die Premier League bringen“, sagt Sweet. „Aber allein die Möglichkeit, die Kenilworth Road jetzt für zwei oder drei Jahre fertig zu stellen, ist vielleicht eine größere Aufgabe als der Bau eines neuen Stadions.“ Aber eben auch nötig. Damit Völkerwanderungen künftig auch nach Luton führen…

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