Bremen/München – Es war ein Jubiläumsspiel, ein Solidaritäts- und Friedensspiel, das in der Ukraine, so DFB-Präsident Bernd Neuendorf „von den Soldaten an der Front übers Handy“ verfolgt wurde. Der frühe Montagabend, der aus dem Bremer Weserstadion in die Fußballwelt strahlte, hatte seine löblichen Aspekte. Was das 1000. Länderspiel einer deutschen Nationalmannschaft jedoch nicht bot: die erhoffte Schubkraft für das Projekt Heim-Europameisterschaft, die in gut einem Jahr beginnt. Wie will man gegen die kontinentale Elite bestehen, wenn man gegen die mittelklassige Ukraine, bei der derzeit alles Improvisation ist, eine solch malade Abwehrleistung bietet? Dass es mit einem 3:3 nach 1:3-Rückstand nicht eine Niederlage setzte, war England-Legionär Kai Havertz zu verdanken, der den Schlussspurt orchestrierte: Er erzielte das 2:3 und holte den Strafstoß heraus, den Joshua Kimmich in der Nachspielzeit zum 3:3 verwandelte. „Kai“, lobte Bundestrainer Hansi Flick, „hat sich zweimal hervorragend durchgesetzt.“
Am Ende konnten die Spieler dann doch noch entspannt an den Tribünen vorbeiflanieren. Die Stimmung hatte schon zu kippen gedroht beim ersten Länderspiel an der Weser seit elf Jahren. Das Publikum sehnte sich laut seinen SV Werder herbei, als der DFB-Auswahl einen Abwehraussetzer nach dem anderen unterlief. Von „individuellen Fehlern“ sprachen sowohl Flick als auch Torhüter Kevin Trapp, der der Haupt-Leidtragende war. „Wir waren dann nicht mit breiter Brust unterwegs. das Spiel hat die Verfassung der Mannschaft gezeigt“, analysierte der Bundestrainer.
Angefangen hatte es gut, mit einem frühen 1:0 (6. Minute), das vor allem das Verdienst des Dortmunders Marius Wolf war, aber offiziell dem abfälschenden Knie von Local Hero Niclas Füllkrug zugerechnet wurde. „Wir hatten noch drei, vier Hundertprozentige“, rechnete sich Kevin Trapp aus 100 Meter Entfernung die Offensivleistung seiner Kollegen deutlich zu schön. In den Angriffsbemühungen unterliefen den Deutschen bereits die Fehler, die die ukrainischen Konter einleiteten – mit denen die Dreierabwehrkette von Hansi Flick auseinandergespielt wurde. Rüdiger, Schlotterbeck und Ginter wurden überspielt und überlaufen, von Viktor Tsygankov vom spanischen Erstligisten FC Girona, der fürs 1:1 (18.) und 1:3 (56., nach dramatischem Fehler von Ginter) sorgte, und von Mykhailo Mudryk vom FC Chelsea, der am zweiten Treffer der Gäste beteiligt war, das letztlich als Eigentor von Antonio Rüdiger auf den Spielberichtsbogen kam. Der deutsche Abwehrchef hob ratlos die Hände. Im Verlauf der zweiten Hälfte kehrte Flick zum konventionellen 4-3-3-System zurück, in dem das Team sich wohler fühlt.
„Das Spiel hatte sich gut angefühlt – bis zu den saudummen Gegentoren“, bilanzierte Joshua Kimmich mit ernster Miene. In die Pause ging es mit dem aufmunternden Erlebnis, dass Leroy Sané mit einem Freistoß an die Latte nahe am Erfolg war. Kimmich: „Für die zweite Halbzeit hatten wir uns vorgenommen, die Fehler abzustellen – doch das dritte Tor entsteht wieder aus einem. Die letzten 15 Minuten waren wir wieder druckvoller und konnten uns belohnen.“
Die Moral war okay, doch die Fehlerquote in der Rückwärtsbewegung lastet auf der Mannschaft, und man kann nicht so milchmädchenhaft rechnen wie Kevin Trapp, „dass wir auf einem guten Weg sind, wenn wir die Fehler abstellen“. Gelingt seit ungefähr dem 990. Spiel einfach nicht mehr.