Nicht mal mehr die Quote stimmt

Die Halbtoten von der Weser

von Redaktion

GÜNTER KLEIN

Es war ja gut gemeint, ein Länderspiel mal um 18 Uhr anzupfeifen, damit auch Kinder den Fußball der Nationalmannschaft sehen können. Es war allerdings auch heimtückisch, für das Vorabend-Experiment den Montag auszuwählen, den unfußballigsten aller Wochentage. Denn mit der erwartbar schwachen Quote von 4,57 Millionen hat der DFB nun ein Argument, sich widerstandslos weiter auf der 20.45-Uhr-Schiene zu bewegen – für ihn ist das einfach ertragreicher, was die Vermarktung betrifft.

Mit 4,57 Millionen rutscht das Nationalteam unter die Zahlen der späten Joachim-Löw-Ära, als es im direkten Vergleich dem Trödel-Format „Bares für Rares“ unterlag, diesmal muss es sich an „Die Toten vom Bodensee“ messen lassen, dem nachfolgenden Krimi im ZDF, den mehr anschauten als Hansi Flicks Abwehrschocker „Die Halbtoten von der Weser“. Und zum Spott, den der deutsche Fußball wird ertragen müssen, gehört auch die erleichterte Feststellung: Ist wohl ganz gut, dass das Spiel gegen die Ukraine so wenig Menschen verfolgt haben.

Es erscheint jedenfalls unvorstellbar, dass in einem Jahr beim ersten deutschen EM-Spiel sich 25 Millionen zuschalten und vor den Kneipen die Fernsehgeräte aufgestellt werden. Zu viel hat die Nationalmannschaft von ihrer Ausstrahlung verloren: Das rührt nicht daher, dass die Spieler glauben, auch mal eine gesellschaftspolitische Haltung kundtun zu müssen (das haben vorangegangene und dennoch sportlich erfolgreiche Generationen auch so gehandhabt), sondern schlicht an einem Mangel an spielerischem Format. Es gibt keine logische erste Elf mehr, und Rudi Völler liegt kolossal daneben, wenn er die These propagiert, Deutschland sei nicht viel schlechter aufgestellt als Weltmeister Argentinien. Nein, lieber DFB-Sportdirektor: Nicht nur wegen Messi und des guten Zusammenhalts stehen die Argentinier oben, sondern auch deshalb, weil zum Beispiel Alexis Mac Allister, der nun zum FC Liverpool wechselt, ein sehr viel besserer Spieler ist als der von der Positionierung vergleichbare Joshua Kimmich.

In Deutschland wird – auch von den Medien – verschwenderisch mit dem Prädikat „Weltklasse“ umgegangen. Wenn „Weltklasse“ etwas ist, das man den 50 besten Kickern des Planeten zugesteht, ist sicher kein deutscher dabei. Vielleicht werden Havertz, Wirtz, Musiala mal Weltklasse – doch noch sind sie es nicht.

Und das spüren die, die sich für Fußball interessieren. Sie erkennen, dass die Ernennung von Rudi Völler ein Retro-Quatsch war, und sie haben die Erwartungen an Hansi Flick als den über Jahre verkannten Wundermann enttäuscht zurückgefahren. Die Nationalmannschaft ist out.

Guenter.Klein@ovb.net

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