Bremen – Wenn Rudi Völler Hansi Flick wäre und nicht Sportdirektor beim DFB, würde er mit einiger Sicherheit ernsthaft darüber nachdenken, ob er noch der Richtige ist für diese Aufgabe. Man weiß von Rudi Nationale, dass er seine Grenzen als Teamchef seinerzeit nüchtern beurteilt hat. So nüchtern, dass er 2004 nach dem Vorrunden-Aus bei der EM zurücktrat, ohne dass es irgendwelchen medialen Druck gebraucht hätte.
Wären die aktuellen Protagonisten im Verband ehrlich mit sich und der sportlichen Situation, müssten sie folgerichtig zu dem Urteil kommen: So wie es sich gerade darstellt mit der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, sollte es keinesfalls fortgeführt werden. Dazu war der Offenbarungseid trotz des dank der individuellen Klasse von Kai Havertz ermühten 3:3-Unentschiedens gegen die Ukraine zu offenkundig.
Keine Ahnung, was Hansi Flick seinen Spielern erzählt – es ist hoffentlich gehaltvoller als das, was er öffentlich kundtut. Das sind nur Floskeln wie: „Wir werden an den Automatismen arbeiten – und Dinge, die wir nicht gut gemacht haben, klar ansprechen“ und „Wir wissen, dass eine Menge Arbeit vor uns liegt. Da bin ich auch überzeugt von der Mannschaft.“ In seiner Coachingzone wirkte Flick am Montagabend ratlos, es wäre jedoch sicher zu kurz gehüpft, isoliert den Bundestrainer verantwortlich zu machen für manche auf diesem Anspruchsniveau unfassbare Stümperei, die wieder zu besichtigen war.
Aber es ist natürlich Job des Bundestrainers, nach den misslungenen Auftritten unter seiner Führung in der Nations League und dem Scheitern bei der WM das aus seinen Auserwählten herauszuholen, was er immer wieder öffentlich diagnostiziert: „Enorme Qualität“. Da fragt man sich: Wo versteckt sie sich nur, diese „enorme Qualität“? Es hat den Anschein, als sei eine mittelmäßige Mannschaft mit einem mittelmäßigen Trainer auf der Suche nach Halt, Struktur und Strategie.
Flick hat mit der Versuchsanordnung gegen die Ukraine, einer brüchigen Dreierkette, nicht aus Überzeugung gehandelt, sondern aus Not. Er vertraut seiner Defensive aus gutem Grund nicht, die Gegner bekommen zu viele Großchancen, es fallen zu viele Gegentore, es bieten sich viel zu große Räume im Mittelfeld, die praktisch jeden Gegenangriff zur Gefahr werden lassen.
Flicks Anliegen, es mit einer Dreierkette zu probieren, ist auch mit dem Mangel an Qualität auf den Außenverteidigerpositionen zu erklären. Nach Ansicht der Partie gegen die Ukraine darf man aber zu dem Schluss kommen: Dass David Raum oder Marius Wolf auf den Flügeln noch von drei ebenfalls überforderten Männern hinter ihnen abgesichert werden, macht sie ebenso wenig zu internationalen Klassespielern wie die Tatsache, dass sie beide schnell rennen und manchmal gut flanken können. Auch wenn Kapitän Joshua Kimmich pflichtschuldig sagt: „Es war nicht alles schlecht. Egal mit welcher Kette – die Fehler dürfen wir halt nicht machen.“
Für das opulente Analystenteam, das der klamme DFB für seine lahmende Elitetruppe beschäftigt, sollte eine Überlegung wert sein, zur von Flick ohnehin bevorzugten Viererkette zurückzukehren und nach dem Beispiel der WM 2014, die zum Titel führte, einen Ochsenspieß aufzudrehen. Vier Männer, die sich auf die Defensivarbeit verstehen und das Einfallstor verschließen. Damals in Brasilien verirrte sich der grundsolide Benedikt Höwedes als linker Verteidiger zwar nur äußerst selten tief in des Gegners Hälfte, er verlor aber auch nicht wie David Raum Bälle an der Mittellinie, die man auf diesem Niveau schlicht nicht verlieren darf, er ließ sich nicht überlaufen, wie es Nico Schlotterbeck vor dem 1:2 passierte, und er spielte keine hanebüchenen Rückpässe, wie es Julian Brandt vor dem 1:3 auf Matthias Ginter tat.
Es geht um Verlässlichkeit. Die bietet diese Mannschaft seit fünf Jahren nicht mehr an. Noch zwei ähnliche Enttäuschungen wie zuletzt am Fließband sollte es Freitag in Polen und Dienstag darauf gegen Kolumbien tunlichst nicht geben. Rudi Völler übrigens sagt im Stern, er sehe Flick nicht beschädigt. Der Hansi sei „ein Weltklassetrainer. Er hat die Kraft, die Mannschaft und sich selbst aus dem Tief herauszuziehen.“ Das Interview gab Völler vor dem Ukraine-Spiel.