Bundestrainer in der Kritik

Ist schon Hansi-Dämmerung?

von Redaktion

GÜNTER KLEIN

Weil in diesen Tagen oft verglichen wird, wie es ein Jahr vor der WM 2006 war und ein Jahr vor der EM 2024 ist: Ja, da spürt man schon einen Unterschied. Jürgen Klinsmanns Team war ein unfertiges, doch das sah man ihm, wenn wir uns an den Confed Cup 2005 in Deutschland erinnern, nach. Eine Idee, wie strukturelle Defizite in der Ausbildung der Spieler aufgewogen werden könnten, war erkennbar. Und das Land freute sich so richtig auf das große Turnier, neue oder renovierte Stadien waren Symbole des Aufbruchs. Die Lage heute: Ein freudiges Vorglühen Richtung EURO ist nicht spürbar, sondern eher die Furcht, das Fußballevent werde überfordert sein mit der Aufgabe, einer derzeit gespaltenen Gesellschaft ein verbindendes Thema zu geben. Dazu kommt, dass Soziale Medien das Leben und die Diskussionskultur verändert haben. Das Grummeln, das früher in kleinen Kreisen blieb, kann nun als lautes Echo ertönen.

Klar ist: Die Fußball-Europameisterschaft 2024 kann nur zum Erfolg werden, wenn die deutsche Nationalmannschaft gut spielt. Die Frage: Wird sie dies unter der jetzigen Leitung tun können? Hansi Flick wird so stark angezweifelt, wie das nicht vorstellbar war, als er 2021 Bundestrainer wurde. Er schien die Idealbesetzung zu sein: erfahren in der Verbands- und frisch erfolgreich in der Vereinsarbeit, fleißig, bodenständig, menschlich, beliebt bei den Spielern. Mittlerweile sehen viele, die ihn damals freudig begrüßten, Flick als Problem: Ist er doch nur der ewige Assistent, der für eine kurze Zeit beim FC Bayern vom Glück geküsst wurde? Zwar wird beim DFB der Bundestrainer nicht einfach zwischen den Turnieren gewechselt (es wäre finanziell auch nicht zu stemmen für den klamm gewordenen Verband), doch es sieht schon ein wenig nach Hansi-Dämmerung aus.

Die guten Seiten von Hansi Flick sind nicht spurlos verschwunden, doch er muss sich einige Punkte vorhalten lassen. Die Spielidee, mit der er die von Vorgänger Joachim Löw schwach begonnene WM-Qualifikation begonnen hat, ist komplett abhandengekommen, der Vorsatz, nach dem Vorbild des Europameisters Italien das nationale Auswahl- wie ein Vereinsteam zu führen, offensichtlich vergessen; Flick verliert sich in Personalien, die er Experimente nennt – doch etwas Alternatives auszuprobieren, das hat erst dann Berechtigung, wenn es eine Basis gibt, die funktioniert. System, Personalkreis, ob die Achse an Kimmich oder Gündogan entlang verlaufen soll, ob Müller noch eine Rolle spielt, ob die Talente Havertz, Wirtz, Musiala und Moukoko forciert werden – diese Entscheidungen hätte der Bundestrainer schon im März bei der ersten Maßnahme nach der WM treffen können. Er wirkt irrlichternd.

Doch in der Pflicht steht nicht nur Flick mit seinem Stab an Zuarbeitern. Im DFB arbeiten genügend Leute, die den Trainer in seiner externen Kommunikation (noch nie seine Königsdisziplin gewesen) coachen könnten, und Sportdirektor Rudi Völler müsste halt auch mehr bieten als freundliche Attitüde und Auftritte in 80er-Jahre-Radioshows. Konzeptionelle Arbeit ist bei Rudi Nazionale bisher halt nicht zu registrieren. Auch da fühlte sich 2005 mit dem damals jungdynamischen Oliver Bierhoff besser an.

Guenter.Klein@ovb.net

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