Gelsenkirchen/München – Rudi Völler war in seiner Funktion als DFB-Sportdirektor sichtlich bedient, als er nach dem 0:2 der deutschen Nationalmannschaft gegen Kolumbien vor die RTL-Kameras trat. Wieder kein Sieg, wieder Diskussionen um Hansi Flick, und wieder war Völler gezwungen, den Bundestrainer in Schutz zu nehmen – diesmal mit deutlichen Worten: „Am Ende, muss man sagen, ist Hansi so ein bisschen die ärmste Sau. Er versucht ja alles, dass wir erfolgreich sind, er probiert ein bisschen was aus.“
Doch genau dieses Ausprobieren könnte Flick im Hinblick auf die Europameisterschaft im eigenen Land noch zum Verhängnis werden. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in den einstigen Triple-Coach des FC Bayern schwindet, auch die Spieler scheinen langsam, aber sicher an den Ideen ihres Trainers zu zweifeln – weil sie schlichtweg nicht funktionieren. „Wir haben gesehen, dass wir keine Mannschaft sind, die Dreierkette spielen kann. Uns liegt Viererkette besser“, ließ Emre Can erste Kritik an der taktischen Ausrichtung der vergangenen Wochen durchblicken.
Der Bundestrainer hat es nicht geschafft, nach der am Ende trostlosen Ära unter Joachim Löw neuen Schwung zu erzeugen. Dennoch kann auch die Tatsache nicht wegdiskutiert werden, dass Deutschland ein Jahr vor der Heim-EM ein eklatantes Qualitätsproblem bei den zur Verfügung stehenden Spielern hat. Champions-League-Sieger Ilkay Gündogan (Manchester City), der abermals auf einer Position eingesetzt wurde, auf der er seine aus dem Club bekannten Stärken nicht ausspielen konnte, merkte nach dem neuen Tiefpunkt an: „Wenn man es über einen längeren Zeitraum nicht schafft, dieses Potenzial auf dem Platz abzurufen, dann müssen wir irgendwann die Frage stellen, ob wir auch die Qualität haben, um hundertprozentig auf allerhöchstem Niveau zu spielen.“.
Auch der Münchner Leon Goretzka war schockiert: „Ich weiß nicht, ob bedenklich reicht. Es ist dramatisch, das muss man ganz klar sagen. Es fehlt an allen Ecken und Enden. Das ist summa summarum viel zu wenig. Es fühlt sich an wie in der letzten Saison am Ende bei Bayern München.“
Ein ähnliches Fazit zog Völler – und versuchte dadurch ein weiteres Mal, Flick aus der Schusslinie zu nehmen. Er lenkte die Kritik in Richtung Mannschaft. „Man muss sagen, dass es definitiv auch eine Qualitätsfrage ist. Ich habe das vielleicht am Anfang auch ein bisschen zu positiv gesehen. Wir haben einige gute Spieler, die ganz oben im Regal sind. Aber wir haben auch einige Spieler, die hängen ein bisschen hinten dran, und die werden es auch nicht schaffen, da bin ich mir relativ sicher, für die Europameisterschaft“, sagte der Sportdirektor.
Vor ein paar Wochen hatte er noch getönt, Argentinien, der Weltmeister, sei vom Personal her auch nicht sehr viel besser aufgestellt. Nun kündigt er personelle Konsequenzen an, auch wenn er keine Namen nennen wollte: „Man muss sehen, dass man die richtigen Spieler einlädt.“
Die Einladungen für den nächsten DFB-Lehrgang mit den Prüfsteinen Japan (WM-Schreck) und Frankreich (Vizeweltmeister) im September wird trotz aller Kritik und greifbarer Missstimmung wohl wieder Hansi Flick verschicken, zumindest wenn man den Worten von Bernd Neuendorf Glauben schenkt. „Ich habe mit Hansi Flick telefoniert. Er selbst, aber auch die Spieler sind sehr selbstkritisch. Der Bundestrainer hat mir versichert, dass wir im September eine Mannschaft sehen werden, die anders auftritt als zuletzt“, sagte der DFB-Präsident, der sich auch mit Sportdirektor Völler austauschte.