München – Haben die Schiedsrichter die deutsche Fußball-Meisterschaft entschieden? Unabhängig von der Unfähigkeit der Dortmunder, sich den auf dem Silbertablett präsentierten Titel zu greifen, gibt es im deutschen Fußball eine Dauer-Diskussion über die vielen umstrittenen Schiedsrichter-Entscheidungen. Das prominenteste Beispiel: Bochums Verteidiger Danilo Soares foult am 30. Spieltag Dortmunds Karim Adeyemi im Strafraum. Schiedsrichter Sascha Stegemann sieht kein Foul, Videoassistent Robert Hartmann schaltet sich nicht ein, Stegemann schaut auch von sich aus nicht die Wiederholung an. Kein Elfer, es bleibt beim 1:1 – für fast jeden Beobachter eine krasse Fehlentscheidung. Die Folge für den BVB: Zwei Punkte weg, Tabellenführung futsch, (vermeintliche) Vorentscheidung im Meisterrennen verpasst.
Wegen solcher Szenen wird der Ruf nach sogenannten „Challenges“ lauter, also der Möglichkeit, den Videobeweis anzufordern. Auch Liverpools Trainer Jürgen Klopp sagt: „Es gibt so viele gute Beispiele, wie das funktionieren kann. Im Hockey etwa hat sich die Challenge längst bewährt. Das ist eine interessante Idee für den Fußball.“
Eine Challenge pro Halbzeit fände auch Kölns Trainer Steffen Baumgart „sinnvoll“, und selbst der Leiter der Videoassistenten, Schiedsrichter Jochen Drees, zeigt sich offen für die Einführung: Im Dortmunder Fall hätte sie „wahrscheinlich verhindern können, dass es zu einer Fehlentscheidung kommt“.
Die Idee ist simpel: Die Schiedsrichter gehen nur dann an den Monitor am Spielfeldrand, wenn ein Verein das nach einer strittigen Situation verlangt. Bei Abseitsentscheidungen werden die Schiedsrichter direkt vom VAR korrigiert, wie das bislang schon der Fall ist. Natürlich sind einige Fragen noch offen: ob die Vereine ihr Eingriffsrecht behalten, wenn ihnen nach der ersten Challenge Recht gegeben wurde. Oder, ob die Vereine die Überprüfung innerhalb eines bestimmten Zeitfensters anfordern müssen.
Unabhängig von derlei Details spricht sich Alex Feuerherdt, Schiedsrichter-Experte und Co-Autor bei Twitter für Collinas Erben, klar für eine Einführung von Challenges aus. Denn die Diskussionen entzünden sich immer wieder an der Frage, wann ein Schiedsrichter sich eine umstrittene Szene noch einmal anschaut und wann nicht – die sogenannte „Eingriffsschwelle“. Ein Problem bleibt aber, so Feuerherdt: „Die Videobilder lassen nicht immer nur eine Entscheidung zu, das heißt, es kann passieren, dass Trainer nicht Recht bekommen“, auch wenn sie vor ihrem Einspruch selbst schon eine Wiederholung gesehen haben. Die Entscheidung liegt weiterhin beim Schiedsrichter.
Und was passiert, wenn sich eine Mannschaft kurz vor Spielschluss ungerecht behandelt fühlt, aber der Trainer seine Challenge schon verwendet hat? Es wird weiterhin strittige Entscheidungen geben – inklusive Fehlern.
Der DFB kann Challenges übrigens nicht eigenständig einführen, er ist abhängig vom Weltverband FIFA und dessen International Football Association Boards (IFAB). Dieses Gremium legt die Regeln für den Fußball fest. Zuletzt hatten die obersten Regelhüter entschieden, dass fünf Wechsel pro Spiel erlaubt sind. Im Interview (siehe unten.) spricht sich Lukas Brud vom IFAB gegen eine Einführung der Challenges aus. Die Dortmunder hätten die Möglichkeit einer Challenge in Bochum sicher gerne genutzt. Stegemann hätte gar nicht anders können, als auf Strafstoß für den BVB zu entscheiden. Aber ob Dortmund deswegen Meister geworden wäre? Fraglich.