„Unter dem Strich überwiegen die Nachteile“

von Redaktion

IFAB-Geschäftsführer Brud ist kein Fan von Challenges, sieht aber Regel-Potenzial – unter anderem bei der Spielzeit

München – Schiedsrichter wenden die Regeln an, alle anderen diskutieren darüber. Aber wer ist verantwortlich für die (neuen) Regeln? Zum Beispiel Lukas Brud. Der Bayreuther ist Geschäftsführer des International Football Association Board (IFAB), sozusagen der Regelbehörde des Weltverbands. Das Interview:

Herr Brud, ist der Fußball aus Ihrer Sicht mit seinen Regeln ausentwickelt?

Was den Fußball so beliebt gemacht hat, ist die Einfachheit seiner Regeln. Das heißt aber nicht, dass man nicht nachbessern sollte, wenn es den Bedarf gibt. Aktuell liegt unser Augenmerk stark auf Kopfverletzungen. Hinzu kommen die technologischen Hilfsmittel, die sich weiterentwickeln.

Aktuell wird heftig über den Videobeweis diskutiert. Bekommen Sie den Unmut der Fans mit?

Na klar. Aber da sehen wir nicht sofort Handlungsbedarf. Die Thematik wird medial hochgekocht, es werden Fakten vergessen. Der VAR wird oft für Dinge kritisiert, die er nach dem Regelwerk eigentlich richtig gemacht hat. Vor allem darf man nicht vergessen: Auch der Videoschiedsrichter ist ein Mensch. Menschen machen Fehler.

Was erwidern Sie auf das Argument, der VAR mache die Emotionen kaputt?

Ich verstehe nicht, wieso dieses Argument immer wieder aufkommt. Wenn ich als Fan über ein Tor juble, der Schiedsrichter dieses Tor aber aberkennt, habe ich über ein Tor gejubelt, was nicht hätte zählen dürfen. Andersherum darf man gleich doppelt jubeln, wenn das Tor erst fällt und dann durch den Videobeweis bestätigt wird. Man muss sich die Frage stellen, ob man einen fairen Spielausgang bevorzugt oder das Mehr an Emotionen. Um die Akzeptanz insgesamt zu steigern, muss man die Entscheidungen einfach besser kommunizieren.

Wie denn?

Die FIFA testet gerade, dass Schiedsrichterentscheidungen im Stadion und TV per Durchsage erklärt werden. Das wird bei der Frauen-WM im Sommer ziemlich sicher Teil des Turniers sein.

Seit dem nicht gegebenen Elfmeter im Spiel zwischen Bochum und Dortmund hat die Forderung nach der Einführung der Challenge wieder Konjunktur. Wie steht das IFAB dazu?

Die Challenge ist nicht Teil des VAR-Protokolls und somit nicht erlaubt. Der DFB könnte sie also nicht auf eigene Faust einführen. Ich finde das Wort an sich schon problematisch, weil es den Schiedsrichter wörtlich übersetzt herausfordert. Und selbst wenn man challengen könnte, wäre die nächste Instanz der Videoschiedsrichter oder der Referee auf dem Platz. Warum sollte man diesem Vorgang also die Challenge vorlagern? Das, was der Schiedsrichter mit 24 Kameras sieht, sieht er definitiv besser, schneller und mit mehr Expertise als irgendein Trainer auf der Bank auf dem iPad.

Was spricht – außer dem Ansatz, dass Schiedsrichter Schiedsrichtern helfen sollen – dagegen?

Wie viele Akteure im Weltfußball gibt es, die gerne diskutieren? Wo würde das enden, wenn Trainer oder Spieler ständig Challenges einwerfen würden? Natürlich könnte man die Anzahl der Challenges begrenzen. Aber was, wenn alle Challenges aufgebraucht sind und in der letzten Minute eine haarsträubende Fehlentscheidung getroffen wird? Die Entscheidung ließe sich nicht mehr anfechten.

Man könnte Schiedsrichter entlasten, weil sie nicht mehr entscheiden müssten, wann sie sich Szenen noch mal anschauen.

Das ist das einzige valide Argument. Aber hier greift der umgekehrte Fall: Nehmen wir an, der Schiedsrichter trifft eine Fehlentscheidung, es fällt aber nur dem Videoschiedsrichter auf. Der darf dann aber leider nicht eingreifen, weil er nur durch eine Challenge eines der Teams auf den Plan gerufen werden könnte. Wir finden: Unter dem Strich überwiegen bei der Challenge die Nachteile.

Welche Regelungen würden den Fußball aus Ihrer Sicht besser machen?

Es wäre der Attraktivität des Fußballs sehr dienlich, wenn das Verhalten der Spieler auf und neben dem Platz gemäßigt werden kann. Abgesehen vom Image wird man sich irgendwann die Spielzeit genauer anschauen, wer weiß. Wir dürfen nicht ignorieren, dass sich das Konsumverhalten der Fans ändert. Ein 15-Jähriger hat eine viel kürzere Aufmerksamkeitsspanne als ein 40-Jähriger.

In der Kings League von Ex-Barcelona-Profi Gerard Piqué wird zweimal 20 Minuten auf kleinerem Feld gespielt. Das Spiel wirkt dadurch viel actionreicher.

Stimmt. Aber das sehen wir weder als Vorbild noch als Konkurrenz. In vielen Sportarten gibt es Abwandlungen: Etwa beim Basketball, wo es Fünf-gegen-Fünf, aber auch Drei-gegen-Drei-Formate gibt. Wir sind für den Fußball zuständig, wie er in seiner aktuellen Form besteht.

Letztes Thema: Handspiel…

(lacht) …die Verbindung ist jetzt plötzlich so schlecht.

Verzeihung, aber alle sehnen sich nach einer dauerhaften, nachvollziehbaren Auslegung.

Da man Absicht nicht beweisen kann, sind wir davon abgerückt, nach „Absicht oder nicht“ zu entscheiden. Also haben wir probiert, die Grauzone zu minimieren. Aktuell soll der Schiedsrichter primär danach entscheiden, welche konkreten Folgen das Handspiel nach sich zog. Sprich: Wäre die Situation ohne Handspiel grundlegend anders ausgegangen? Auch das ist keine Schwarz-Weiß-Entscheidung. Aber relativ nah dran. Wir werden das Problem nicht zu 100 Prozent lösen können. Dazu müssten die Spieler ohne Arme auf dem Platz stehen.

Interview: Jacob Alschner

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