1860 vor dem Trainingsstart

Die Treue der Fans als Verpflichtung

von Redaktion

ULI KELLNER

Pünktlich zum Vorbereitungsstart gab es beim TSV 1860 Grund, die Sektkorken knallen zu lassen. Nicht etwa, weil der ersehnte Mittelstürmer gefunden wurde und auch bezahlt werden kann. Sondern: Weil die Löwen mal wieder gezeigt haben, dass der Mythos Sechzig lebt, dass der Verein Menschen anzieht, so trostlos es sportlich und finanziell läuft. Ausdruck dieses Erfolgs ist die Liste der mitgliederstärksten Sportvereine in Deutschland. 1860 kletterte auf Platz 23, zählt nun mehr als 26 000 treue Anhänger, die sich auf 17 Abteilungen verteilen. Damit steht 1860 besser da als so mancher Fußball-Erstligist (etwa Augsburg, Mainz, Hoffenheim).

Die Marke 1860 ist also stabil, das wird man auch am Freitag und Samstag erleben, wenn der Vorjahresachte der 3. Liga zum Trainingsstart lädt. Kein Vergleich vermutlich zum Sommer 2022, als neun schlüssige Transfers höchste Erwartungen weckten. Die Lust der Fans auf ihre Löwen scheint allerdings ungebrochen – trotz 15 Abgängen, denen nur drei externe Zugänge gegenüberstehen. Trotz eines Schrumpf-Etats, der bestenfalls Drittliga-Mittelmaß darstellt (4,5 Mio. Euro). Und vor allem: Trotz der Eiszeit zwischen den Gesellschaftern, die sich nicht einmal von einem Dürresommer auftauen lässt.

Wenn bei 1860 auf eines Verlass ist, dann auf die Selbstblockade der Führungskräfte – und auf die Treue der Fans, die nicht nur brav Mitgliedsanträge ausfüllen, sondern auch Bestellformulare für Jahreskarten. Wie üblich zeichnet sich ein dauerausverkauftes Stadion ab. Aber: Die Löwen sollten den Bogen zwischen sportlichem Angebot (bescheiden) und Nachfrage (einmalig) nicht überspannen. Ein Verein, der zu Inflationszeiten die Preise erhöht und gleichzeitig sein Produkt kaputtspart, spielt mit der Loyalität seiner Fans – umso bitterer kann das Erwachen werden. Selbst der schrille Giesing-Kult kann erlahmen, wenn es Mitte November nur noch darum geht, ob ein einstelliger Tabellenplatz erreichbar bleibt.

Dass sich Jacobacci beim Fanfest am 16. Juli hinstellt und wie sein Vorgänger einen Feier-Mai verspricht, ist kaum zu erwarten. Den Ball flach zu halten, ist klug. Noch klüger wäre es allerdings, wenn sich die Gesellschafter-Streithähne endlich treffen und ihren lähmenden Machtkampf beenden würden, zur Not mithilfe eines Mediators (für den von Anwälten geführten Kleinkrieg ist ja auch Geld da). Noch ist es nicht zu spät, noch kann das Team nachgerüstet werden, um nicht nur im Mitgliederranking vorne mitzuspielen. Die Aufstiegsträume der Fans schreien nach einer Laufzeitverlängerung. Etwas anderes hat die treue Löwen-Seele nicht verdient.

uli.kellner@ovb.net

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